Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Sonntag auf dem Lande

Ein Sonntag auf dem Lande

Titel: Ein Sonntag auf dem Lande
Autoren: Pierre Bost
Vom Netzwerk:
Ehrenlegion! – einbrachte, und verzichtet auch im Alter – wenngleich das Repertoire seiner Motive überschaubar ist – nicht darauf, den Tag in seinem Atelier zu verbringen. Gleichzeitig weiß er darum, dass er ungeachtet aller Ehrungen nie zu jenen zählte, die die Malerei revolutionieren und als Avantgarde in die Geschichtsbücher eingehen würden. Zu Anfang des Romans wird das in einer Passage deutlich: »›Ich hatte einen Fehler‹, sagte er. ›Mir mangelte es an Mut. Aber davon abgesehen, war es nicht nur meine Schuld, wenn ich nicht bessere Bilder gemalt habe. Was wollt ihr? Ich habe gemalt, wie man zu meiner Zeit gemalt hat, wie man es mir beigebracht hat. Ich habe an meine Lehrmeister geglaubt; man hatte uns dermaßen die Tradition, die Regeln, die Vorfahren und die Werktreue eingetrichtert.‹« Zu wahrer Originalität, so der mit sich ins Gericht gehende Monsieur Ladmiral, sei er nicht vorgestoßen, und diese Selbsterkenntnis gibt seinem Lebensabend einen melancholischen Ton, der sich dadurch verstärkt, dass seine allem Modernen gegenüber aufgeschlossene Tochter Irène mit den Bildern des Vaters nichts anzufangen weiß. Man geht nicht fehl, wenn man in diesem fingierten Monolog des Malers Ladmiral die Stimme des Schriftstellers Bost hört, der sein eigenes Werk damit auf einen – zu kritischen – Prüfstand stellt und der Literatur Lebewohl sagt.
    Irène und Gonzague – so heißen die Kinder des Witwers Urbain Ladmiral, Kinder, wie sie nicht unterschiedlicher sein könnten. Während sich der ängstliche Gonzague, den seine Frau nur Edouard nennt, mit seiner Familie in einem etwas langweiligen bürgerlichen Leben etabliert hat, geht die flatterhafte Irène undurchschaubaren, aber offenkundig finanziell lukrativen Geschäften nach und lässt sich, zum Leidwesen von Vater und Bruder, nicht in die Karten ihres Liebeslebens schauen. Ein Sonntag auf dem Lande handelt von einem Geflecht von Gefühlen, dessen Hintergründe sich die Protagonisten selten eingestehen. Sorge, Eifersucht und ein sich in kleinen verbalen Spitzen äußerndes Ressentiment machen das Untergründige des Textes aus, der an der Oberfläche ein ereignisarmes Ritual beschreibt, Gonzagues allsonntäglichen Besuch bei seinem Vater. Die Abfolge dieser Stunden ist einstudiert und wird von den Beteiligten routiniert absolviert. Darauf bedacht, seine unternehmungslustigen Kinder in Schach zu halten und den nach schwerer Mahlzeit unumgänglichen Mittagsschlaf auszukosten, spürt Gonzague jedoch insgeheim Ängste in sich aufsteigen, die Furcht vor dem näherrückenden Tod des geliebten (Über-)Vaters.
    Pierre Bosts so unauffällige wie beeindruckende Kunst besteht darin, seinem Roman jene Langsamkeit zu geben, die das Erzählte, die immergleichen Handgriffe, die immergleichen Dialoge, benötigt. In Zeitlupe bewegt sich der Text und mit ihm seine Akteure, die in der provinziellen Ruhe des Ladmiral’schen Landhauses vor den drohenden Anforderungen der Moderne zurückweichen. Verkörpert werden diese durch Irène, die unangemeldet auftaucht, binnen weniger Sekunden das zementierte Sonntagsgefüge durcheinanderwirbelt und sich zum Leidwesen ihrer Neffen ebenso rasch wieder davonmacht. Irènes fragile Leichtlebigkeit macht allen Beteiligten deutlich, auf welch schwachem Fundament ihr Leben steht, und zwingt zu Rechtfertigungen, die umso lebhafter ausfallen, je klarer den Wortführern ihre Selbsttäuschungen bewusst werden.
    Ein Sonntag auf dem Lande ist ein mit leichter und souveräner Hand aufs Papier getupfter Roman, der Melancholie und Humor miteinander verwebt. Er zeigt uns einen Autor, der nicht auftrumpfen und seine Fähigkeiten nicht zur Schau stellen muss. Er spricht, häufig zwischen den Zeilen, von dem, was Menschen überfordert, und er spricht vom tagtäglichen Umgang mit diesen Überforderungen. Mit der größten – dem Tod – lässt sich ohnehin nicht umgehen; das wissen alle drei Protagonisten sehr genau.
    Dass Pierre Bost bis zu seinem Tod 1975 keine weiteren literarischen Arbeiten vorlegte, trug erheblich dazu bei, sein umfangreiches Werk gänzlich aus dem Bewusstsein verschwinden zu lassen. Immerhin führten Bosts Arbeiten für den Film dazu, dass Ein Sonntag auf dem Lande ein erfreulicheres Schicksal erfuhr. 1973 hatte Bost am Drehbuch von Bertrand Taverniers Debüt L’horloger de Saint-Paul mitgewirkt, und auch für den ein Jahr nach Bosts Tod in die Kinos gekommenen Tavernier-Film Le juge et l’assassin war er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher