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Ein Sonntag auf dem Lande

Ein Sonntag auf dem Lande

Titel: Ein Sonntag auf dem Lande
Autoren: Pierre Bost
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Farbtuben und seine Staffelei auf den Dachboden trug und alles mit einem großen schwarzen Tuch bedeckte, denn ein gewisser Hang zum Pathos fehlte ihm keineswegs. Danach trat Edouard in die Büros einer Kolonialwarenfirma ein; Monsieur Ladmiral kannte den Direktor; er hatte ihn porträtiert, geschmückt mit einer sehr großen roten Rosette, wie man sie zu jener Zeit trug, als sie noch wenig verbreitet waren (inzwischen hat sich die Zahl der Rosetten vervielfacht, aber ihre Gesamtoberfläche ist beinahe die gleiche geblieben).
    Als Gonzague ins Geschäftsleben eingetreten war, hatte Monsieur Ladmiral darunter gelitten, dass sein Sohn eine Laufbahn als Kaufmann einschlug. An diesem Tag war etwas zwischen Gonzague und ihm zerbrochen. »Ins Büro gehen«, das war für Monsieur Ladmiral das Zeichen von Knechtschaft und Armseligkeit. Etwas so Hässliches wie wenn eine Frau ohne Kopfbedeckung aus dem Haus ging oder die Kinder auf der Straße spielten. Zumindest hoffte er, dass sein Sohn mit dem Eintritt in ein Kolonialwarenunternehmen durch die ganze Welt reisen würde. Gonzague hoffte das auch, oder wenigstens glaubte er, es zu hoffen. Die Realität sah anders aus: Als man ihm drei Jahre später vorschlug, nach Dakar zu reisen, stellte er fest, dass er sich davor fürchtete, und verzichtete darauf. Als Vorwand gab er an, sich nicht von seinem älter werdenden Vater entfernen zu wollen. Monsieur Ladmiral war sehr erbost, wagte aber nicht, es offen auszusprechen, doch Gonzague verstand das sehr wohl und fand, dass man ihm sein Opfer schlecht lohnte. Kurz darauf bot man ihm noch eine Stelle in Afrika an. Damals hatte Gonzague gerade geheiratet und begann sich Edouard zu nennen; mit dem Hinweis auf seine neuen Pflichten lehnte er ab. Diesmal war Monsieur Ladmiral froh, seiner Schwiegertochter die Schuld geben zu können, die tatsächlich um nichts auf der Welt damit einverstanden gewesen wäre, über die Meere zu fahren und bei Negern zu leben.
    Monsieur Ladmiral hatte Marie-Thérèse nie sehr gemocht, vor allem weil sie eine kleine Angestellte war, als sein Sohn sie kennenlernte. Eine Frau zu heiraten, die arbeitet, war für Monsieur Ladmiral genauso ärgerlich und offen gesagt ebenso vulgär wie ins Büro zu gehen. Die Verwandlung von Gonzague in Edouard war ihm peinlich gewesen. Und ein vergleichbares Bedauern hatte er empfunden, als seine Enkel die armseligen Namen Emile und Lucien erhielten. Als sie die Tochter schließlich Mireille nannten, hatte er mit den Schultern gezuckt und darin einen Übergang von der abgeschmackten zur anmaßenden Gewöhnlichkeit gesehen. Marie-Thérèse hatte empfindlich auf diese Vorwürfe reagiert, und noch jetzt bemerkte sie genau, dass ihr Schwiegervater absichtlich die Namen der Kinder nicht in den Mund nahm. Er redete mit ihnen, ohne sie mit Namen anzusprechen, oder er verwendete »Emile« und »Lucien« mit einem ironisch emphatischen Ton, um sich darüber lustig zu machen. Manchmal sagte er aus Protest sogar »Mimile« oder »Lulu«. Bei der kleinen Mireille, die er sehr liebte, machte er inzwischen weniger Schwierigkeiten und sprach ihren Namen aus, ohne auch nur darüber nachzudenken.
    Besagte Mireille, die an den Traditionen festhielt, begann zu jammern, als man am Postamt vorbeiging. Ihr Vater, der die Gebräuche nicht weniger respektierte, nahm sie auf den Arm, bevor sie darum gebeten hatte. Monsieur Ladmiral wollte die Kleine übernehmen.
    »Gib sie mir«, sagte er.
    Er riss Mireille aus Gonzagues Armen und drückte ihr aus Versehen einen Finger ins Auge. Das Kind schrie auf, doch sein Großvater hatte es bereits an sich genommen, seinen Kopf hochfliegen lassen und es rittlings auf seine Schultern gesetzt. Mireille, verdattert, schniefend und verschreckt, mit einem schmerzenden Auge und zutiefst aufgewühlt, hatte eine solche Angst, dass sie aufhörte zu schreien. Sie fand sich hoch oben wieder, ihr kleiner warmer Bauch drückte gegen den Nacken des Großvaters, in einer Position, die sie liebte und die ihr Sicherheit gab. Von da oben wirkte die Landschaft viel lustiger. Die Bewegungen ihres Reittiers schüttelten sie sanft durch, und sie selbst musste nicht mehr gehen. Ihre schmalen, zerbrechlichen Handgelenke wurden fest und zärtlich zugleich von zwei großen Händen gehalten. Sie war glücklich und ließ sich treiben. Der Hut des Großvaters war nach hinten gerutscht; Mireille sah die zerzausten weißen Haare und den glänzenden elfenbeinfarbenen Schädel, den sie mochte und
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