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Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks

Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks

Titel: Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
Autoren: Laura Mundson
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mehr mit ihr spricht. Sie sagt, das geht schon seit Wochen so, und sie würde es nicht mehr aushalten. Es macht sie vollkommen fertig, und sie braucht einen Rat.
    Da erzähle ich es ihr. Die Theorie, meine ich. Das mit dem Leiden. Nicht, dass die Liebesfähigkeit ihres Vaters infrage gestellt ist.
    Und sie versteht es. Sie leidet, weil sie beschlossen hat, ihr Glück von etwas abhängig zu machen, auf das sie keinen Einfluss hat. Und während sie noch zitternd und schluchzend auf der Treppe sitzt, kann ich genau sehen, dass sie es wirklich begreift. Leiden macht keinen Spaß. Es gefällt ihr kein bisschen. Viel lieber wäre sie glücklich. Danach geht sie nach oben und wäscht sich das Gesicht.
    Ich will hier aus naheliegenden Gründen nicht viel über meine Kinder schreiben, aber so viel immerhin: Was wäre gewesen, wenn Ihnen jemand genau das schon im Alter von zwölf Jahren gesagt hätte? Wenn Sie Ihr ganzes erwachsenes
Leben in dem Wissen geführt hätten, dass wir die Wahl haben? Und dass wir uns für die Freiheit entscheiden können, indem wir uns einfach selbst verpflichten, mit dem Leiden aufzuhören.
    Aus diesem Grund beschließe ich, nach dem morgendlichen Schreibpensum mit den Kindern zur Gärtnerei zu fahren und Pflanzen für unsere Terrakotta-Töpfe im Innenhof zu besorgen. Wir werden hochrankende Süßkartoffeln mit hellgrünen und violetten Blüten kaufen und hohes Präriegras dazupflanzen. Vielleicht auch ein paar weißblühende Clematis, die an der Hausmauer hinaufranken sollen. Wir werden trotz allem etwas Schönes schaffen. Aber nicht, um ihm eins auszuwischen.
    Während des gesamten Frühstücks fragt keiner von beiden, wo ihr Vater ist, und ich sage es ihnen auch nicht. Sie vermuten wohl, dass er gestern spät nach Hause gekommen und schon früh wieder zur Arbeit gegangen ist. Es beruhigt mich, dass sie meine Bürde nicht mit mir teilen müssen. Dass es nicht ihre Sorge ist. Noch nicht. Es beruhigt mich, daran zu denken, dass ich heute mit ihnen etwas Schönes erschaffen werde. Insbesondere angesichts der aktuellen Umstände. Es beruhigt mich auch, dass ich meiner Tochter gerade die Perle der Weisheit geben konnte, die zu finden ich 41 Jahre gebraucht habe. Und dass meine Kinder heute etwas über Botanik lernen werden, über das Erzeugen und Wahrnehmen von Schönheit.
    Aber soll ich Ihnen etwas sagen? Ich will gar nicht ruhig sein. Ich will auf diese Lebenseinstellung pfeifen und lieber wütend sein und leiden! Ich will wollen.
    Ich will, dass mein Mann nach Hause kommt. Dass er sich entschuldigt. Mir sagt, dass er mich liebt. Und sich eine Tasse Kaffee einschenkt.

    Atmen, ermahne ich mich selbst. Erinnere dich daran, dass du nicht seine Fähigkeit zu lieben infrage stellst. Du stellst auch seine Liebe zu dir nicht infrage. Du betrachtest das Ganze nicht als Notfall. Du kennst deinen Mann in diesem Moment einfach besser als er sich selbst. Das hat nichts mit dir zu tun. Noch nicht. Du wirst das durchstehen. Zumindest für den Moment. Atme.
    In diesem Augenblick weiß ich, dass ich immerhin das schaffe. Einfach atmen.
    Aber ich kann nicht »einfach atmen«! Ich ersticke! Ich bin schwach und klein und verängstigt. Oder etwa nicht?
    Und dann erinnere ich mich an eine Stelle in einem Buch, das mir schon früher in schweren Zeiten eine Hilfe war.
    Es heißt The Cloud of Unknowing .
    Darin fordert ein anonymer christlicher Mystiker des 14. Jahrhunderts seinen Leser auf, ein Wort auszuwählen. Ein einziges. Und es an sein Herz zu binden. Dieses Wort beginnt in dem Menschen zu arbeiten und bringt ihn auch durch die schlimmsten Zeiten. So oder so ähnlich verspricht es zumindest dieser anonyme Autor.
    In meinem Leben habe ich das schon mit einigen Wörtern gemacht. Gott, Liebe, Hoffnung, Wahrheit, Freude, Gnade, Schönheit, Wunder, Hingabe, Freiheit.
    Mein aktuelles ist viel einfacher als alle bisherigen. Es hat nichts Göttliches und bezeichnet auch keinen Gemütszustand. Es ist ein Tätigkeitswort. Es ist schlicht und ergreifend: atmen.

    Aus The Cloud of Unknowing
    Nimm einfach ein kurzes Wort, am besten aus einer Silbe oder zwei … So ein Wort wäre Gott oder Liebe. Wähl dir eines, das dir zusagt … und binde dieses Wort so an dein Herz, dass es, was auch immer geschieht, dort bleibt. Dies Wort soll dein Schild und Speer sein, ob du im Frieden oder im Kampf reitest. Mit diesem Wort bist du gewappnet gegen Wolke und Finsternis über und unter dir. Mit diesem Wort vermagst du Grübeleien jeglicher
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