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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag
Autoren: Allison Winn Scotch
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mir zu, er unterbricht seine Arbeit, sieht auf und lächelt. Und dann, als ob er mich nach so vielen Jahren immer noch ganz genau kennt, legt er sich den Finger an die Lippen, steht auf und winkt mich hinaus auf die hintere Veranda.
    «Led Zeppelin», sage ich, als wäre jedes weitere Wort überflüssig.
    «Das lief bei ihm den ganzen Sommer», antwortet er.
    «Und der See, das Wasser», ich deute ins Haus hinein, auf das Bild über dem Tisch.
    «Der See war dir nie ganz geheuer», erzählt Wes. «Du hast ihn geliebt, du hast dich dazu gezwungen, ihn zu lieben, aber es dauerte jedes Mal eine Weile, bis du dich mit ihm angefreundet hast. Jeden Sommer wieder.»
    «Aber ich bin eine gute Schwimmerin», merke ich an.
    «Ich sage ja auch nicht, dass es rational war.» Wes zuckt mit den Achseln.
    «An dem Tag», ich drehe mich um und sehe ihn an. «An dem Tag, als ich reingefallen bin, hast du mich gefunden, oder?»
    Er verzieht das Gesicht und nickt. «Als ich vom Zahnarzt zurückkam, bin ich dich suchen gegangen.» Er reibt sich unbewusst das Kinn. «Mein Gesicht war immer noch halb taub. O Gott, kannst du fassen, dass ich mich daran noch erinnere? Dass mein Gesicht noch halb taub von der Spritze war?»
    «Wer weiß schon, warum wir uns an manche Dinge erinnern.»
    «Ah!» Er wackelt mit dem Zeigefinger. «Immer die einfache Antwort, das Sinnbild für deine Probleme.» Er nimmt mir den iPod aus der Hand, steckt sich den einen Stöpsel ins Ohr und schiebt mir den anderen hinein. Gemeinsam lauschen wir Led Zeppelin, dann sagt er: «Ich bin Anhänger der Theorie, die besagt, dass wir ausblenden, was wir nicht sehen wollen, es aber trotzdem bleibt, tief vergraben in unserem Gehirn, und darauf wartet, wieder abgerufen zu werden.»
    «Wird das jetzt so eine Art Ratgeberstunde vom großen Bruder?» Ich drehe mich zu ihm um, der Stöpsel rutscht mir aus dem Ohr und bleibt zwischen uns hängen. «Willst du damit sagen, dass ich unbewusst eine ganze Wagenladung voller Mist in mir begraben habe, weil es einfacher schien?»
    «Ich will sagen, dass ich glaube, wir alle wünschten, wir könnten die letzten Tage, die ihr damals hier wart, vergessen. Es überrascht mich nicht, dass du es geschafft hat.»
    «Aber es gehört auch zu den ersten Dingen, die zu mir wiedergekommen sind.»
    «Das überrascht mich auch nicht sonderlich.» Wir starren auf die verblassende Herbstlandschaft rund um sein Elternhaus, und er nimmt den Stöpsel aus dem Ohr. «Ja. Ich habe dich gefunden. Du warst ins Wasser gefallen und irgendwie auf dem Rücken gelandet. Gott sei Dank. Ansonsten …» Er verstummt, dann reißt er sich zusammen. «Ich habe dich rausgezogen und deinen Puls gefühlt. Du warst bewusstlos, aber du hast noch geatmet, und ich bin zu Dads Atelier gerannt, um Hilfe zu holen, aber er hatte die Tür abgesperrt. Ich habe sicher drei Minuten lang wie wild geklopft, und als mir klarwurde, dass es sinnlos war, bin ich zum Haus gerannt, um meine Mutter zu holen.»
    Ich muss mich über das Geländer beugen. Wellen der Übelkeit steigen in mir auf, und ich kralle mich fest, um nicht umzufallen.
    «Meine Mutter hat sofort einen Krankenwagen gerufen», erzählt Wes weiter, «bis der da war, bist du wieder zu dir gekommen. Sie haben dich mit ins Krankenhaus genommen und ein paar Untersuchungen gemacht, um sicherzugehen, dass dir bis auf ein paar Prellungen nichts fehlte. Die Blutergüsse an deinen Armen – Gott, waren die heftig, riesige violette Schwellungen, wie angemalt – sind erst richtig zum Vorschein gekommen, als wir schon wieder auf dem Rückweg waren. Sonst hätten die dich nie und nimmer mit uns gehen lassen.» Er zögert, unsicher, wie er die Geschichte beenden soll. «Tja, und das war es.»
    «Das war es», wiederhole ich.
    «Dad hatte überhaupt nichts davon mitbekommen, bis er schließlich lange nach dem Abendessen wieder rauf ins Haus gekommen ist. Du hast schon geschlafen, aber ich war noch wach und sah fern. Meine Mutter hat ihn zur Rede gestellt und darauf bestanden, deine Mutter anzurufen, die natürlich – zu Recht – veranlasst hat, dass ihr beide sofort nach Hause kommt. Ungefähr einen Tag später war sie hier. Dads Reaktion war die einzig passende für unsere Familie – Schmerzensschreie aus tiefster Seele, so laut, dass ich den Fernseher ausgeschaltet habe, rauf in mein Zimmer gelaufen bin und mir ein Kissen über den Kopf gedrückt habe.»
    «Und als ich am nächsten Morgen aufwachte», nehme ich den Faden auf, weil
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