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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag
Autoren: Allison Winn Scotch
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er sich und wirft die Hände in die Luft. Hey, schau mich nicht so an! Ich bin unschuldig.
    «Was hat Anderson dir denn getan?», ertönt hinter mir Rorys Stimme. Sie stellt sich neben mich. Dann sind wir ja wohl vollzählig, angezogen von diesem Schlamassel wie die Motten vom Licht.
    «Das Arschloch hat sie dazu überredet, mich zu verlassen», schimpft Peter und steht auf. Er hält den Handrücken weiter an den Mund gepresst, und Blut tropft ihm über das Handgelenk.
    «Wovon zum Teufel redest du denn da?», schreit Anderson. «Als hätte ich was damit zu tun!»
    «Er hat überhaupt nichts damit zu tun, Peter. Hast du meine Nachricht nicht gesehen? Hast du die Post nicht gelesen?», frage ich. Ist er etwa der einzige Mensch auf der Welt, der die Seite sechs nicht liest? «Wenn du jemandem die Schuld geben willst, dann dir selbst.»
    «Ehe er angefangen hat, bei uns rumzuhängen, bevor er immer da war, wenn ich nicht da sein konnte, bist du gar nicht auf die Idee gekommen, mich zu verlassen», sagt Peter, und plötzlich tut er mir leid. Ist es vor dem Absturz so zwischen uns gewesen? Lauter Ausreden? Lauter Schuldzuweisungen? So viel Kraftaufwand, um das Offensichtliche zu vermeiden, dass der Kampf selbst schließlich anstrengender wurde als alles andere? «Ich habe es wirklich versucht! Ich habe alles getan, um dir beizustehen, bis es dir besser geht.»
    «Mir geht es aber nicht besser!», fahre ich ihn an, doch dann wird mir klar, dass es mir vielleicht tatsächlich besser geht. Vielleicht geht es mir verdammt viel besser, und ich habe mich nur an meine Amnesie geklammert, weil ich so hart daran gearbeitet habe, die Alternative zu vermeiden. Die Erinnerungen. Die Reise. Aber jetzt bin ich hier, stark und fähig, für mich einzustehen. Vielleicht wird es Zeit, endlich zu akzeptieren, wer ich war, was ich durchgemacht habe, was noch kommen wird. Ich mache einen Schritt auf Peter zu. Er steht an das Geländer gekauert und sieht auf einmal ziemlich klein aus.
    «Und falls du es vergessen hast», meine Stimme hat sich wieder beruhigt, sie klingt fest, «ich habe dich das erste Mal auch rausgeschmissen.»
    «Aber du hast mir verziehen!» Er fängt an zu weinen. Er weiß, dass es vorbei ist.
    «Kapierst du es nicht?», schreie ich, und alle zucken zusammen, sogar Anderson, der seine beste bedrohliche Miene aufgesetzt hat, und auch Rory, die ständig von einem Bein auf das andere tritt und herauszufinden versucht, was genau Anderson mir gebeichtet hat und was das für ihr eigenes Geständnis bedeutet. Zu spät , denke ich. Zu spät für den ganzen Müll.
    «Was meinst du?», fragt Peter, und ich merke ihm an, dass er es wirklich nicht weiß. Keiner von ihnen weiß es. Außer Wes. Sie kapieren nicht, dass ich mich wieder erinnern kann, dass ich mir Zugang zu meinem Gedächtnis verschafft habe und alles ans Tageslicht zerren werde, trotz all ihrer Bemühungen, mich davon abzuhalten.
    «Ich weiß, dass du ein Haufen Scheiße bist», beschimpfe ich ihn. «Ich weiß, dass ich dir nicht verziehen habe und es auch nie vorhatte!»
    Seine Augen werden riesengroß und meine auch. Mir war, ehrlich gesagt, gar nicht klar, dass ich mich tatsächlich auch an dieses Detail erinnere – dass die Geschichte, genau wie Wes eben gerade erst gesagt hat, irgendwo in meinem Gehirn vergraben war und nur darauf wartete, wieder abgerufen zu werden. Ich kann mich wieder vollkommen klar an alles erinnern – wie Rory mir die widerliche Geschichte gesteckt hat, wie Peter mir seine Liebe zu Ginger beichtete, wie er eines Abends vor der Tür stand, als ich gerade dabei war, meinen Kummer in Wein zu ersäufen, und wie wir auf einmal zusammen im Bett gelandet sind. Und auch, dass mir dabei sofort klarwurde, dass es ein verheerender Fehler wäre, ihn wieder in mein Leben zu lassen. Und dann das Baby … Oh, Gott, das Baby – ja, ich wollte es behalten und alleine großziehen!
    Ich fahre herum und blicke in die Gesichter meiner Familie, der Menschen, die mich viel zu weit von diesem Weg abgebracht haben. « Kapiert ihr das wirklich nicht? Was mir genommen wurde? Was ihr alle mir genommen habt?»
    Sie starren mich an, und ich sehe ihnen an, dass sie gar nichts kapieren. Und dann fange ich an zu weinen, echte, riesengroße, reinigende Tränen. Aus Trauer um die verlorenen Monate nach dem Absturz, vergeudet, weil ich ihnen vertraut habe, glauben wollte, was sie mir erzählten, obwohl ich besser auf meine eigene, innere Stimme gehört hätte. Und aus Trauer
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