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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag
Autoren: Allison Winn Scotch
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plötzlich alles wieder da ist, «hat er uns Pfannkuchen gebacken, mich auf den Kopf geküsst, und wir haben alle so getan, als wäre nie etwas geschehen.»
    Wes nickt. «Das war sein Weg des Verzeihens.»
    «Wer wem?»
    «Wir ihm und er uns. Nach dem Motto: Was wir wissen, haben wir von unseren Eltern gelernt» – er winkt ab –, «oder so was in der Richtung.»
    «Mein Gott, wie deprimierend.»
    «Als er auf einmal zurückkam, nachdem meine Mutter erkrankt war, ist es genauso gewesen. Er war demütig, zeigte aber keine echte Reue.»
    «Wie lang ist er geblieben?»
    «Er kam und ging ein paar Monate lang. Ich habe keine Fragen gestellt.»
    «Und dann war er wieder weg?» Eine Feststellung als Frage verkleidet.
    «Dann war er wieder weg», wiederholt Wes. «Er und meine Mutter haben ihren Frieden miteinander geschlossen, und sie hat mich angefleht, ihn nicht zu hassen. Ich schwöre bei Gott, das hat sie ernst gemeint, sie hat ihn wirklich geliebt. Und weil sie im Sterben lag und ich zu dem Zeitpunkt schon so weit vom Hass entfernt war, versprach ich es ihr. Wir haben nie wieder was von ihm gehört.»
    «Auch nicht, als sie gestorben ist?»
    «Es war, glaube ich, nicht gerade seine Stärke, bei Katastrophen standhaft zu bleiben», stellt Wes schlicht fest. «Er hat sich solch besonderen Situationen nie gewachsen gefühlt – den positiven genauso wenig wie den negativen, ganz egal, was seine ehrfürchtigen, Kunst sammelnden Anhänger denken mögen.»
    Und trotzdem habe auch ich ihn verehrt. Alle Zeichen ignoriert, die Zurückweisung, weil die raren strahlenden Augenblicke, in denen er mir seine Liebe zeigte, sich mir ganz und gar widmete, alles waren, was ich je brauchte. Eine Droge in Reinkultur.
    Ich muss an das Gerücht denken, von dem Tina Marquis mir erzählt hat, ein überdimensional aufgebauschtes Telefonlauffeuer. Wäre er jemals wegen einer einfachen Schulabschlussfeier zurückgekommen? Ist es wirklich möglich, dass er da war, zur Feier des Tages, obwohl alles dagegen spricht? Nein. Wahrscheinlich nicht. Auch wieder so ein Halluzinogen, das ich bereitwillig geschluckt habe, um die Phantasie Wirklichkeit werden zu lassen.
    Hinter uns in der Küche regt sich etwas, und wir drehen uns gleichzeitig um. Meine Mutter steht an der Glastür und starrt uns an wie zwei Tiere im Zoo. Das übliche hawaiianische Flatterkleid ist einer altersgemäßen dunkelblauen Jeans, einer hellblauen Bluse und einem geschmackvollen (geschmackvoll!) violetten Halstuch gewichen. Die Haut ist fleckig, die Augen sind geschwollen, und einen Teil von mir zerreißt es fast vor Mitleid, weil ich mich schwach daran erinnern kann, wer sie war, ehe alles zusammenbrach, und wie schwierig es für sie gewesen sein muss, sich vermeintlich in einen völlig anderen Menschen zu verwandeln.
    «Sie ist damals gekommen, um dich zu holen», flüstert Wes. «Ich weiß, dass sie selbst genug Dreck am Stecken hatte, aber wenigstens war sie die Erwachsene, die am Ende immer kam, um dich zu holen.»
    Ich will ihm schon zustimmen – mein neues Ich würde ihm gerne zustimmen, bis mir wieder einfällt, dass sie schon derart lange Geheimnisse mit sich herumträgt, dass sie inzwischen zu einem eigenen Körperteil geworden sein müssen, mit ihr verwachsen und ihr zugehörig sind wie ihr Blut oder ihre Leber oder ihr Herz. Und der Teil von mir, den es vor Mitleid fast zerrissen hat, verschwindet wieder hinter seiner hohen Schutzmauer.
    Ehe ich etwas antworten kann, ertönt von irgendwo vor dem Haus ein polternder Krach. Sie wirbelt herum, rennt in die Richtung, und nach kurzem Zögern laufen Wes und ich ihr nach. Auf Katastrophen zuzusteuern liegt dieser Familie schließlich im Blut.

    «Scheiße noch mal, Mann, was sollte das denn?» Peters Geschrei ertönt von der Veranda. Er sitzt vornübergebeugt auf seinem Hintern. Es sieht so aus, als würde seine Unterlippe bluten. Vorsichtig berührt er die Wunde und zuckt zusammen. «Ernsthaft, Mann! Was soll der Scheiß?»
    Anderson hat sich in die Ecke der Veranda zurückgezogen. Den linken Fuß auf die umgestürzte Bank gestellt, steht er mit verschränkten Armen da und mustert die Szene, als wäre er am Set und würde auf die nächste Einstellung warten. Perfekte Bartstoppeln umrahmen sein entschlossenes Kinn. Ach du meine Güte! , denke ich. Er glaubt, dass er für mich kämpfen muss. Als hätte ich das nötig!
    «Mein Gott, Anderson, was ist denn passiert?», bringe ich zustande.
    « Er hat angefangen!», verteidigt
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