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Ein Sommer mit Danica

Ein Sommer mit Danica

Titel: Ein Sommer mit Danica
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht mehr sehen, sondern nur noch sie, Danicas Nähe, fühlen.
    »Das ist nicht alles.« Corell atmete pfeifend durch die Nase. Alles brach wieder in ihm auf, und es gibt Augenblicke, in denen das Blut sich zu Feuer wandelt. »Vor vier Jahren traf es Monika –«
    »Sei still –«, sagte Danica. Sie legte ihr Gesicht auf seine Haare. »Sascha, bitte, bitte, sei still!«
    »Sie wurde überfahren«, sagte Corell. Mein Gott, laß mich das tun, hindere mich nicht, mich selbst zu zerfleischen. »Vor unserem Haus … auf der Straße … ein Omnibus fuhr über ihren Kopf … man konnte sie nicht mehr erkennen … sie hatte gar keinen Kopf mehr … Man brachte sie mir in die Praxis, ich war ja der nächste Arzt, und ich erkannte sie nur an ihrem Kleidchen. Sie war neun Jahre … Später hat man mir gesagt, ich hätte mir brüllend das ganze Gesicht zerkratzt. Es muß wohl wahr sein, ich weiß es nicht, ich blieb ein halbes Jahr in einer geschlossenen Anstalt. Aber da ist eine Narbe zurückgeblieben, da, an der Stirn. Du kannst sie fühlen.«
    Sie beugte sich über ihn, suchte die Narbe, küßte sie und streichelte wieder sein Gesicht.
    »Man sieht sie kaum noch«, sagte sie. »Man muß sie suchen.«
    »Es gibt Narben, die brechen immer wieder auf, und dann hat man es satt, dann will man diesen ewigen Schmerz betäuben … und man säuft. Säuft am Morgen, zu Mittag, zum 5-Uhr-Tee, zum Abend, zum Nachtgebet. Säuft vom Absinth bis zum Zitronenbrandy das ganze Alphabet durch, säuft sich die Seele aus dem Leib, diese verdammte Seele … aber es hilft nichts, es hilft gar nichts … die Bilder sind immer da, jeden Augenblick, wenn das Gehirn durch den Schnapsnebel blickt … und da stehen sie dann: Hilde … Christian … Monika … und man weiß nicht mehr, was man tun soll, man hat ja alles versucht, man hat den Mund nur noch aufgemacht, um einen Flaschenhals dazwischenzuschieben … Danica, du herrlicher verfluchter Engel, was soll man da noch tun? Was bleibt einem übrig? Wo soll man hin?«
    »Zu mir, Sascha …«
    »Man legt sich keinen Müllhaufen ins Bett.«
    »Ich liebe dich, Sascha …«
    »Mein Gott, Danica, begreife es doch: Ich bin Säufer!«
    »Du bist ein Mensch.«
    »Ein Mensch im Endzustand.«
    »Du bist auf diesen Berg gekommen, und du wirst ihn auch wieder hinuntersteigen. Das ist immer ein Anfang.«
    »Wenn ich gleich wieder unten in Piran bin, werde ich mich in die nächste Wirtschaft stürzen und alles saufen, was nach Alkohol riecht.«
    »Ich werde bei dir sein und mittrinken.«
    »Du bist verrückt, Danica.« Corell hielt ihre unentwegt streichelnden Hände fest. Ihre Zärtlichkeit brannte in ihm, und plötzlich merkte er, daß er dabei war, sich zu belügen, daß alle diese Worte nur tönende Phrasen waren, daß er seit ein paar Stunden ja wieder an das Leben dachte, Freude am Meer und an dem Himmel hatte, in die Sonne wollte und die Nähe von Danica das einzige war, was er sich wünschte. »Wer bei mir ist, geht zugrunde.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte sie und drückte ihn wieder an ihren Schoß.
    »Wir sind dabei, den größten Irrsinn zu begehen. Ich könnte dein Vater sein …«
    »Du bist aber nicht mein Vater … du bist Sascha –«
    »Ein versoffener Hund bin ich!« schrie Corell und sprang auf. Er riß Danica dabei fast um, fing sie noch auf und drückte sie an sich. »Eine Ruine wie diese Steinhaufen hier. Sag nichts mehr, mein Gott, spar dir die Worte, Engelchen, ich kann doch Diagnosen stellen, ich bin doch Arzt, ich weiß doch, wie es mit mir weitergeht …«
    »Das will ich sehen, Sascha!«
    Er starrte sie an. Der Blick ihrer braungrünen Augen machte ihn schwindelig. Man muß sich daraus retten, dachte er. Es ist ein Verbrechen, diesen Engel mitzureißen. Mein lieber Gott da droben, das ist ein neuer Grund, Schluß zu machen, so schnell wie möglich Schluß zu machen. Ich komme über die Toten nicht hinweg … sollen jetzt auch die Lebenden an mir zugrunde gehen? Schluß, Gott, Schluß!
    »Jetzt werde ich saufen!« sagte Corell knirschend. »Verflucht, wie werde ich saufen! Ich werde dein Piran leertrinken, und sie werden mir neben Tartini ein Denkmal setzen: Dem größten Säufer Alexander Corell. – Hinab in die Stadt!« Er breitete die Arme weit aus. »Ich komme!« brüllte er. Und gleichzeitig dachte er: Was für ein schäbiges Aas bist du doch! Du willst dieses Mädchen entsetzen … und dabei liebst du sie wie der Tag die Sonne …
    *
    Gleich in der ersten Wirtschaft unterhalb
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