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Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

Titel: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot
Autoren: Sibylle Berg
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mich freue, ist diese Idee, die mich dort erwartet. Die geht so, die Idee... Also, da kommt der Chef ganz aufgeregt ins Büro, weil er total wichtigen Besuch kriegt. Einen Multimillionär aus Brasilien. Wegen irgendwelcher Verträge. Und dann sagt der Chef: Ruhe meine Damen und frischen Kaffee, wenn ich bitten darf, Fräulein Vera. Ich dann rein ins Chef-zimmer, mit dem Kaffee. Und da sehe ich diesen Mann.
    Der ist total schön. Wie Rutger Hauer sieht der aus. Ich habe keine Ahnung, ob Brasilianer so aussehen können wie Rutger Hauer. Auf jeden Fall fange ich direkt an, mit dem Mann zu küssen. Mein Chef bekommt einen Herz-anfall und stirbt. Ich fahre mit dem Mann im Fahrstuhl, und dort vereinigen wir uns das erstemal. Das ist so, wie es im richtigen Leben noch nie war. Naja, um es kurz zu machen, ich fahre dann mit ihm auf seine Hacienda. Und das kann man sich ja vorstellen, daß das eine Idee ist, die für eine lange Zeit reicht. Meistens bin ich ziemlich traurig, wenn ich aufhören muß zu träumen. Manchmal denk ich, es wäre total gut, an irgendwas glauben zu können.
    An eine politische Idee oder so. Aber heute glaubt kaum wer noch was. Alle Leute laufen bloß noch so rum und warten darauf, daß ihnen jemand eine Idee gibt. Da sind auch Ideen, aber so richtig fehlt denen die Notwendigkeit.
    Und darum warten alle. Die Menschen, die ich kenne, sind entweder esoterisch geworden oder familiär. Unglücklich sind sie alle. Ich geh ins Büro. Ich werde erst mal Kaffee trinken, und dann werde ich an den Mann denken, der alles ändert.
    RUTH schminkt sich
    Ich habe mich schon immer geschminkt. Der Lippenstift ist blutrot. Nur die Lippen sind nicht mehr da. Die sind irgendwann einfach weggegangen. Vielleicht haben die Mundwinkel sie verjagt. Als die immer fester wurden. Und sich nach unten verzogen. Ich trage Make-up auf, es bleibt in den Falten meines Gesichts hängen. Ich sehe mein Gesicht damals. An diesem Morgen. Damals, in Paris. Im Hotelbett hinter mir schlief Wolfgang. Es war unser erstes Wochenende zusammen. Es hatte diesen Nebel draußen, den nur Herbste bringen. Ich sah auf die zinnfarbenen Dächer und wußte absolut nicht, was ich machen sollte, vor Glück. Ich zog mich also an und ging raus. Es war noch kühl. Ich saß in einem Straßencafe und trank Kaffee. Sah zu dem Hotelzimmer hoch. In dem meine erste große Liebe schlafend lag. Komisch, daß ich die meisten Sachen nur in der Erinnerung richtig fühlen kann. Es wurde warm, da liefen Franzosen rum, und alle strahlten mich an, weil ich so strahlte. Und alles war am Anfang. Ich saß in der Sonne und trank Milchkaffee. Und dachte, ich wäre die einzige, die glücklich sein könnte. Oben lag Wolfgang und schlief.
    Ich glaube wirklich, so glücklich wie damals allein in diesem Cafe, war ich nie mehr. Anders glücklich. Aber nie mehr so. Bei späteren Glücken wußte ich ja schon, daß Glück eine endliche Sache ist. Damals glaubte ich, das wäre jetzt für immer so. Ich habe Wolfgang später verlassen. Ich dachte ja, da warten noch viel größere Sachen auf mich.
    Aber dann habe ich gemerkt, daß mein Leben einfach zu kurz ist, für diese ganzen großen Sachen. Und jetzt stehe ich da, morgens, und schminke meine Lippen. Die gar nicht mehr da sind. Und für wen weiß ich nicht.
    VERA glaubt nix
    Vera sitzt bei Frau Burchard und glaubt nix. Es gibt auch noch nix, was sie glauben könnte, aber es ist schon mal eine gute Grundhaltung, nix zu glauben, wenn eines zu einer Wahrsagerin geht. Alle, die zu so was gehen, sagen immer: Wissen Sie, ich glaub da natürlich nicht dran. Die Wahrsagerin sieht aus wie eine etwas verwahrloste Bankangestellte, und wie sich später herausstellt, ist sie eine etwas verwahrloste Bankangestellte. Sie raucht Kette, und Vera sitzt ihr an einem wirklich häßlichen Tisch gegen-
    über, in einer wirklich häßlichen Wohnung. Während die Hexe wie besessen raucht und die Karten mischt, guckt sich Vera die Bücher im Regal an. Thorwald Dethlefsen: Krankheit als Weg. Die Nebel von Avalon. Ich bin O. K. Du bist O.K. Thorwald Dethlefsen: Schicksal als Chance. Vera bekommt einen Schluckauf. Eine kalte Hand greift nach ihrem Herzen. Menschen, die Thorwald Dethlefsen lesen, sind zu allem fähig.
    Die verlotterte Bankangestellte fangt an zu reden, die Kippe im Mund. Und Vera guckt die ganze Zeit auf diese Kippe. Ob sie nicht vielleicht runterfällt, beim Reden. Das wäre Vera peinlich. Die Frau redet. Sie haben es wirklich nicht leicht im Moment.
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