Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Ort wie dieser

Ein Ort wie dieser

Titel: Ein Ort wie dieser
Autoren: Marie-Aude Murail
Vom Netzwerk:
Paten die Hand schüttelte, Leon, der sich unter Tränen Cécile in die Arme warf, und Montoriol selbst, der in dem Augenblick, als er seine Liebeserklärung an die Republik machte, so ausgesprochen telegen war. Nein, Georges ahnte nicht, was in diesem Augenblick, als er sich mit wackligen Beinen hinter seinen Schreibtisch setzte, geschehen würde.
    »Kann ich hereinkommen?«
    Cécile stand in der Tür. Er sprang mit einem Satz auf.
    »Sucht mich meine Frau?«, fragte er lachend.
    »Nein, ich habe Sie gesucht.«
    Sie sahen sich an. Das Lächeln schwand aus Georges’ Gesicht.
    »Ich wollte Ihnen danken«, sagte Cécile.
    »Mir danken?«
    »Für all das, was Sie mir beigebracht haben … Ich bin nicht mehr dieselbe wie am Morgen des 2 . September. Die Baoulés verdanken Ihnen viel. Aber ich, ich … ich verdanke Ihnen noch mehr.«
    Sie vermieden es jetzt, sich anzusehen.
    »Wissen Sie, Cécile, wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre …«
    Er lachte, und das Lachen zitterte ein wenig.
    »Aber ich bin zwanzig Jahre zu alt!«
    Dabei klopfte sein Herz zum Zerspringen, ganz wie das eines jungen Mannes. Fünfzig, was für ein schlechter Witz.
    »Wenn man zwei Männer lieben könnte …«, wagte die kleine Cécile zu sagen.
    Georges fuhr auf: »Aber man kann nicht.«
    Sie näherte sich ihm und küsste ihn auf die Wange. Georges küsste sie ebenfalls und streifte dabei ihre Lippen.
    »Verschwinden Sie schnell«, murmelte er.
    Er sah ihr nicht zu, wie sie ging. In ein paar Jahren, das wusste er, würde dieser Kuss eine seiner schönsten Erinnerungen sein. Aber in diesem Moment … Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und wischte zwei Tränen weg, die an seinen Wimpern hingen.

Epilog
    Die Patenschafts-Zeremonie der kleinen Baoulés hatte dank der Medien eine solche Verbreitung gefunden, dass ihr Anwalt ohne weitere Schwierigkeiten die Freilassung ihrer Eltern erreichte. Ihr Schicksal war deshalb aber noch lange nicht geklärt. Sie hatten immer noch keine Aufenthaltsgenehmigung und keine Arbeitserlaubnis. Francette und Eden kehrten zu den Guérauds zurück, und die Eltern Baoulé bezogen wieder das Zimmer von Eloi. Madame Baoulé musste noch einen Umweg über die Entbindungsstation machen, wo sie Zwillinge gebar.
    »Tom und Leo«, stellte sie sie Monsieur Montoriol vor, der, die Arme voller Geschenke, zu Besuch kam.
    »Sehr hübsche Vornamen«, sagte Georges ein wenig enttäuscht.
    Madame Baoulé lachte schallend: »Aber nein! Sie heißen Auguste und Napoleon!«
    »Ahhh! Immerhin!«, rief Georges erleichtert.
    Die Baoulé-Kinder verließen das Schulgebäude, die Burg, wie Toussaint und Démor sie nannten. Wieder wurden sie über die Stadt verstreut. Sie mochten es nicht, noch einmal getrennt zu werden, sie hatten die Unbequemlichkeit ihrer alten Behausung vergessen, und begannen, von der glücklichen Zeit des stillgelegten Bahnhofs und der Kannibaoulé-Insel zu träumen.
     
    Die Zeit verging, und Ostern stand bevor. Kurz vor den Ferien erhielt Cécile den Bericht über ihren Unterrichtsbesuch. Monsieur Marchon hatte sich nicht zu streng gezeigt und ihr 11 von 20  Punkten gegeben, was nicht allzu unehrenhaft war. Wichtiger waren für Cécile die Fortschritte ihrer Schüler. Von den achtzehn, die ihr anvertraut waren, konnten jetzt acht flüssig lesen. Sieben weitere lasen mühsam und stolperten bei manchen Lauten. Marianne und Audrey hinkten hinterher. Steven konnte sich immer noch nichts einprägen. Es blieben noch drei Monate, um die Schlacht zu gewinnen.
     
    Jeder führt seinen eigenen Kampf. An einem Tag zur Mittagszeit nahm Eloi die Straßenbahn und fuhr zum Place Anatole-Bailly. Er ging Xavier und seine ehemaligen Kollegen im Tchip Burger begrüßen.
    »Ist
Die Firma
da?«, fragte er Samira.
    »Im Büro.«
    Sie wusste, dass Eloi rausgeworfen worden war. Sie war daher sehr erstaunt, als sie sah, wie er zum Büro ging. Eloi trat ein, ohne anzuklopfen.
    »Monsieur Louvier?«
    Eloi wirkte vollkommen entspannt und lächelte. Der Chef, der in seine Überlegungen vertieft war, gab das Lächeln mechanisch zurück. Dann merkte er, dass ihm sein Feind gegenüberstand. Er stand mit geballten Fäusten auf. Eloi war ihm nicht ebenbürtig, seit seinem Krankenhausaufenthalt war er schwach geblieben und noch immer ausgezehrt.
    »Ich dachte, es würde Sie interessieren …«
    Eloi zog ein Blatt aus einer der Taschen seiner Armeehose.
    »… das hier zu sehen!«
    Er drehte die Zeichnungen, die die Verwandlung der Grundschule
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher