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Ein Ort wie dieser

Ein Ort wie dieser

Titel: Ein Ort wie dieser
Autoren: Marie-Aude Murail
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in einen Tchip Burger zeigten, zu Louvier. Vor Überraschung war Louvier wie gelähmt, und Eloi nutzte das. »Niemals«, sagte er und ließ das zerrissene Blatt fallen. »Niemals.«
     
    Es blieb eine letzte Schlacht zu schlagen, diesmal eine juristische. Aber sie wurde abgebrochen. Während Rechtsanwalt de Saint-André dabei war, die Akten der Baoulés mit Fotokopien der vernichteten Beweismittel zu rekonstruieren, erreichten drei Aufenthaltsgenehmigungen das Vereinsbüro, die vom Innenministerium ausgestellt waren. Sie waren auf Monsieur und Madame Baoulé sowie Francette ausgestellt. Aus humanitären Gründen. Hu-ma-ni-tä-r. Sie waren gerettet. Aber wie viele sind es nicht? Für Nathalie war dieser Sieg nur eine kurze Atempause in ihrem lebenslangen Kampf. Für die Dame der Präfektur, die von ihrem Liebhaber abserviert worden war, war die Niederlage so groß, dass sie ihre Versetzung in eine andere Stadt beantragte – und bewilligt bekam.
     
    An einem Abend im April wurde Eloi von Madame Barrois zum Essen eingeladen. Sie hatte begriffen, dass dieser junge Mann, den sie für beunruhigend hielt, einen ziemlich wichtigen Platz in der Familie Barrois einzunehmen drohte. Als er zu ihnen kam, trug er verschiedene Second-Hand-Klamotten, die Jacke eines Flugkapitäns und auf dem Kopf eine Mütze der Roten Armee. Er nahm sie vor Madame Barrois ab und küsste ihr die Hand, denn stärker als je zuvor machte er allen möglichen Blödsinn.
    Cécile bat ihn, vor dem Essen noch in ihr Zimmer zu kommen. Eloi setzte sich aufs Bett und sie sich in den Sessel. Sie hatten sich so viel zu sagen, dass sie stumm blieben.
    »Ich nehm meine Ausbildung wieder auf«, verkündete der junge Mann plötzlich.
    »Sehr gut.«
    »Und ich ziehe bei meinen Eltern aus.«
    Er musste sich beeilen. Der Luxus begann ihm zu gefallen. Und das wollte er nicht.
    »Wo ziehst du hin?«
    »Ich kann nicht in die Rue Jean-Jaurès zurück. Die Baoulés haben mein Zimmer besetzt.«
    Er lachte. »Natürlich könnte ich eine andere WG mit Nathalie suchen.«
    Cécile sah ihn düster an, sie war sich nicht sicher, ob sie dem Scherz etwas abgewinnen konnte.
    »Eifersüchtig?«
    Sie konnte ihm nicht
Ich liebe dich
sagen, aber ihre Augen redeten klarer als sie. Eloi überlief ein Schauer.
    »Komm«, murmelte er und streckte ihr die Hand hin.
    Sie wehrte sich nicht. Wozu? Sie gehörte ihm seit dem Tag, an dem sie seinen Vornamen auf seinem Namensschildchen gelesen hatte. Sie legten sich aufs Bett, und ihr Gespräch verlor erheblich an Interesse.
    Währenddessen sah Madame Barrois, wie ihr Hähnchen im Ofen immer länger briet und trocken wurde.
    »Ja verdammt, ich hab Hunger!«, rief Gil genervt. »Können die das nicht nach dem Essen machen?«
    Um neun Uhr ging Madame Barrois zu Céciles Zimmer, klopfte an die Tür und sagte mit erstickter Stimme: »Eeeessen ist fertig!«
    Als Eloi aus dem Zimmer kam, hatte er wieder Farbe angenommen, und Madame Barrois dachte daran, dass ihr Mann wohl gesagt hätte:
Die beiden da bescheren uns Ostern noch vor Palmsonntag.
Es blieb nur noch die Hoffnung, dass der junge Eloi ernsthafter sein würde als er wirkte. Aber bei Tisch informierte er Madame Barrois in einem völligen Durcheinander, dass er mit Cécile in ein elendes Loch ziehen, dass er Studien ohne jede Berufsaussichten beginnen und dass Cécile ihn durchfüttern würde.
    »Aber reden wir von wichtigen Dingen«, fuhr er fort. »Die Baoulés … Das Problem ist ihre Unterkunft. Wir werden nie etwas finden, was für all ihre Kinder groß genug ist. Der Bahnhof von Saint-Jean-de-Cléry war doch phantastisch. Wirklich schade, dass diese Idioten von der SNCF den Bahnhof haben räumen lassen. Der Bahnhof wird verfallen, das ist alles.«
    Gil dachte schweigend über diese Information nach, dann blickte er um sich wie ein Tier, das aus dem Winterschlaf erwacht.
    »Ach ja, aber nein«, sagte er. »Die SNCF hat überhaupt nichts räumen lassen. Das war diese gute Frau da, die Tussi von Louvier. Die hat ein Ausweisungsdingsbums beantragt.«
    Alle sahen Gil mit weitaufgerissenen Augen an. Was erzählte er da?
    »Das war wegen dem Strom«, fuhr er fort. »Weil die Baoulés den doch nicht bezahlt haben. Sie hat Türen und Fenster vernageln lassen. Aber nicht die SNCF , die war das nicht.«
    »Hör mal auf, Blödsinn zu reden!«, herrschte Eloi ihn an. »Die SNCF hat also keine Anzeige erstattet, meinst du das?«
    »Ja, weil nämlich …«
    »Halt die Klappe. Hat die Tante von der
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