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Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Titel: Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
Autoren: Manolo Link
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schlüssig, wo sie Quartier beziehen wollten.
    Auf der Passhöhe, die einen weit ausladenden Blick ins Land gewährte, stand ein Wohnmobil, aus dem ein graubärtiger Mensch Pilger mit Kaffee, Keksen und Schokoriegeln versorgte. Ich nahm sein Angebot gerne entgegen, setzte mich auf einen der von ihm bereitgestellten Stühle, verabschiedete mich von Bernd und Yajaira und trank meinen Kaffee.
    Neben mir unterhielt sich ein junges Paar angeregt. Irgendwann kamen wir ins Gespräch. Die Frau erzählte, dass sie zwei Jahre zuvor auf dem Jakobsweg gepilgert war und nun ihrem Ehemann einige Höhepunkte des Weges zeigen wollte. Dann empfahl sie mir, auf alle Fälle die Kirche von Eunate aufzusuchen. Es sei ein ganz besonderer Ort und der Legende zufolge würde kein Pilger Santiago erreichen, der zuvor nicht in Eunate war.
    Nach der Pause bedankte ich mich bei dem Bärtigen, der mich mit einem Lächeln verabschiedete, und zog mit neuen Kräften los. Der Weg bergab war steinig und beschwerlich. Nun wusste ich meine hohen, festen Lederwanderschuhe zu schätzen, die mir ein sicheres Gefühl bei jedem Schritt gaben. Ich liebte sie ebenso heiß und innig wie meinen Rucksack, dessen Gewicht ich auf wundersamer Weise manchmal nicht spürte. Plötzlich kam mir mein blaues Sweatshirt in den Sinn und mir wurde bewusst, dass ich es im Bus hatte liegen lassen. Der Verlust hielt sich in Grenzen, weil ich ein zweites besaß und zudem das Gewicht auf meinem Rücken erleichtert wurde.
    Gehen sie nach Eunate, klangen die Worte der Frau in meinem Ohr. Wenn ich nach Eunate gehen würde, müsste ich zusätzliche Kilometer zurücklegen, was mir nicht so recht passte. Aber vielleicht war es ein wichtiger Hinweis, dachte ich. Schließlich glaubte ich an Zeichen und Hilfen.
    Einige Kilometer vor Eunate lud mich eine Bar zum Verweilen ein. Ich war gut beraten, eine Pause einzulegen, weil es mittlerweile sehr warm geworden war. Mit einem Café con leche und Croissants erfreute ich mich an der Atmosphäre in der Bar. Mich faszinierten die markanten Gesichter der Alten, die viel zu erzählen hatten, und für die eine Bar und ein Gläschen Rotwein weit mehr als lediglich Zeitvertreib bedeuteten. Der Jakobsweg verrichtete hier hervorragende Dienste. Kleine Ortschaften, die fast ausgestorben waren, weil die Jungen in die Großstädte übergesiedelt waren, erwachten zu neuem Leben, weil ein heller Kopf eine Bar eröffnet hatte, um die Pilgerschar mit Café und Essen zu versorgen.
    Mein Gefühl sagte mir deutlich, dass ich nach Eunate gehen sollte. Ja, gehen musste. Mein Hemd war durchgeschwitzt und klebte an meinem Rücken. Die Sonne hatte im Laufe des Tages die Wolken aufgelöst und gab ihr Bestes, mir auch noch den letzten Schweißtropfen aus dem Körper zu treiben. Seit meinem Aufbruch in St.-Jean-Pied-de-Port hatten meine Augen noch keinen Regentropfen gesehen. Ein Umstand, der mich nicht unglücklich stimmte. Bei Regen wäre der Weg um ein Vielfaches beschwerlicher zu begehen. Bevor ich die Bar verließ, füllte ich auf der Toilette meine Wasservorräte auf. Allerdings nur einen halben Liter, der bis Eunate ausreichen würde.
    Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Ich war alleine und freute mich dieses Umstandes. Während ich mich Schritt für Schritt voranbewegte und bewusst die Erde unter mir betrachtete, bekam ich das Gefühl, auf den Tränen unzähliger Menschen zu gehen. Wie viele Tränen hat der Weg wohl schon aufgenommen? Wie viele Tränen hat er getrocknet? Wie viel Leid hat der Jakobsweg seit Hunderten von Jahren den Pilgern genommen? Wie viele Probleme wurden auf dem Weg gelöst? Nicht wenige änderten ihr Leben nach der Pilgerschaft. Wie viele Menschen erhielten Klarheit nach langer Wanderschaft? Wie viele Herzen hat der Jakobsweg wohl schon getröstet? Unzählige Herzen haben sich ihm anvertraut, und unzählige werden sich ihm noch anvertrauen. Herzen, die eine Sehnsucht fühlen. Herzen, die spüren - schon lange spüren, dass einiges in ihrem Leben nicht mehr stimmig ist. Die Welt, in der sie leben, ist nicht mehr ihre Welt. Zuviel Hass, viel zu viel Missgunst lebt unter und in den Menschen. Wir müssen wieder einen Weg zum Kern, zum Urkern finden. In jenem Moment wurde mir bewusst, dass der Jakobsweg einer dieser Wege ist. Ein Weg der Völkerverständigung, ein Weg des Friedens, der Liebe, ein Weg zum Göttlichen Urkern. Ich fühlte eine tiefe Liebe in meinem Herzen. Die Gefühlsregung war so stark, dass ich in ein heftiges
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