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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht
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Sie trieben durch den toten Gesteinsberg des Daseins einen Stollen hinter der vermeintlichen Schuld eines anderen her. Der Erweis jedoch, daß dieser Stollen genau richtig vorgetrieben war, ist dadurch erbracht, daß Sie drüben und auf der anderen Seite beim Treten aus der Nacht sich selber in der lichten Weite Ihrer Bohrung stehen sahen.«
    Castiletz hatte sich erhoben und ging auf Hohenlocher zu. Sie reichten einander die Hände, einst spaßhafter Lehrer und textilischer Schüler, jetzt wohl Freunde zu nennen. Hohenlocher fügte mit leiser Stimme noch etwas nach: »Das Maß«, sagte er, »von Freiheit, welches Sie nun gewonnen haben, ist sehr groß. Zu groß fast, muß ich sagen, als daß ich mir schon jetzt vorstellen könnte, wie Sie damit leben werden...«
    Er brach, in irgendeiner befremdlichen Weise erschrocken, ab. Es erscheint bemerkenswert und möchte daher in diesem Berichte nicht verschwiegen werden, daß beide Männer sich jetzt geradezu leichthin ganz anderen Gegenständen im Gespräche zuwandten. Da waren etwa die beiden Gemälde der Maria Rosanka, jene Bilder, die Hohenlocher im vorigen Jahre gekauft, jetzt aber erst mit den von der Malerin bestimmten richtigen Rahmen gehängt hatte; zwei überaus genau konstruierte und mit fast wissenschaftlich zu nennender Anständigkeit durchgeführte Stillleben. Auf dem einen davon sah man einen Zylinderhut, Handschuhe, einen Teller mit Trauben und dahinter, durch das schräge Atelierfenster eigentümlich überschnitten und fast klingend ins Viereck des Bilds gebracht, die Kante eines fernen Gebäudes mit einer schmalen, senkrechten Reihe von Fenstern.
    Übrigens sprachen sie auch von der Schubert, was nicht fehlen konnte, da nämlich jede Bedienung fehlte: und ein wenig sah man das der Wohnung bereits an. »Wissen Sie«, sagte Herr von Hohenlocher, »da gibt es schon bald nur mehr diese zwei Möglichkeiten: rausschmeißen oder ausstopfen. Ich persönlich würde mich ja, wie Ihnen bekannt ist, immer noch lieber für die zweite entscheiden. Nun, die Schubert scheint diesmal wirklich auf ihrem Tiefpunkte eingefroren, an ihrer schwächsten Stelle vereist zu sein. Da sitzt sie oben in ihrer kleinen Wohnung über Ihren Gemächern, Herr Castiletz, und stumpft wild vor sich hin. Läßt sich kaum sehen. Als ich sie das letzte Mal erblickte, vor Tagen, sah sie aus wie ein Wurzelmännlein mit hellen Augen.«
    Conrad wurde bald schläfrig, nach einem Abendimbiß, den Herr von Hohenlocher improvisierte. Es war eine gewichtlose Schläfrigkeit, keine Schwere, ein sanftes Verhauchen der Kräfte nur, die ihn jetzt angenehm verließen, ein Zustand, in welchem man gleich weit und gleich nah von jedem Ding ist, wie der Mittelpunkt einer kleinen Welt. Als er dann drüben in seinem alten Zimmer lag – ganz zart roch es noch immer nach Lack – schien ihm, nach dem Abschalten des Lichtes, daß es nun doch ein anderes Zimmer geworden sei, wenngleich die ockerfarbenen Möbel von früher hier standen, mit den dünnen roten Streifen an den gerundeten Kanten: nein, vielmehr, er selbst würde hier ganz anders leben. Er beschloß, zunächst hier zu bleiben. Hohenlocher hatte gesagt »Ihre Gemächer«. Bilder von der Rosanka in Stuttgart kaufen und hier aufhängen. Das war das Letzte, was er klar dachte, während seine Hand auf dem Nachttisch tastete und das Döslein fand. Dann ging er auf den Spiegel zu, nun völlig mühelos, im Empfangszimmer der elterlichen Wohnung. Ein klein wenig war ihm schon bang vor der aus dem Spiegel sich nähernden Gestalt, durch einen Herzschlag lang nur, besonders was den Kopf, das Gesicht betraf. Jedoch, obwohl er die Augen durchaus in der richtigen Weise zusammengekniffen hatte, kam es ganz anders: bescheidentlich, im weißen Kleide, über das Brücklein bei der Wäscherei der Frau Rumpler. »Bist du in Salzburg?« fragte er. »Ja, Kokosch, und wie schön ist es in Salzburg!« sagte sie und lächelte. »Ja, bist du mir denn nicht böse?« fragte er. Sie gab ihm ihre kleine, sehr warme Hand: »Aber gar nicht, Kokosch, wie kannst du das glauben?! Ich habe nur geweint, weil ich dich lieb habe.« Sie begann jetzt, auf einen Stuhl steigend, die Gardinen abzunehmen, welche bei Frau Rumpler gewaschen werden sollten. Er hielt die Arme hin, um einen Packen Wäsche zu empfangen. »Nein, mein Kind«, sagte sie, »du sollst jetzt schlafen. Wir brauchen auch den kleinen Bleistift nicht mehr, gar nie mehr. Schlafe jetzt, schlafe, mein Liebling.« Sie legte die Hand auf
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