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Ein mörderischer Sommer

Titel: Ein mörderischer Sommer
Autoren: Fielding Joy
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den lästigen Verkehr.«
    »Ich unternehme wirklich alles, damit das Ding endlich fertiggebaut wird«, sagt Paul.
    »Davon bin ich überzeugt.« Joanne lächelt. Er soll ihr glauben, daß sie weiß, es ist nicht seine Schuld. »Was soll man schon machen?« Sie zuckt mit den Achseln.
    »Schließlich war es meine Idee.«
    »Ich schwimme ja sowieso nicht«, erinnert sie ihn.
    Er wendet sich vom Fenster ab. »Wie geht es deinem Großvater?«
    »Immer gleich.«
    »Und Eve?«
    »Immer gleich.« Sie lachen beide.
    »Noch mehr von diesen Anrufen?« fährt er nach einer kurzen Pause fort.
    »Nein.« Sie lügt, weil sie weiß, daß eine gegenteilige Antwort ihn bloß reizen würde. Er wäre dann gezwungen, das zu wiederholen, was er ihr schon oft gesagt hat: daß alle Leute Telefonanrufe von Verrückten bekommen, daß sie sich in keinerlei Gefahr befindet, daß sie, wenn sie sich wirklich Sorgen macht, noch einmal die Polizei anrufen soll oder, noch besser, Eves Mann, Brian. Er ist Polizeisergeant und wohnt im Nebenhaus. Das alles hat er ihr schon oft gesagt. Er hat ihr außerdem gesagt – und zwar so vorsichtig wie möglich –, er finde, sie zeige eine Überreaktion und übertreibe höchstwahrscheinlich, was möglicherweise gar nicht ihre Absicht sei, sondern eine Methode, mit der sie ihn an sich binden wolle, indem sie ihm die Verantwortung für sie aufbürde, die er ja gerade erst abgelegt habe, zumindest für eine bestimmte Zeit. Er hat nicht, wie ihre Freundin Eve es getan hat, die Ansicht geäußert, die Anrufe seien Produkt ihrer Phantasie, dies sei ihre Art, mit der augenblicklichen Situation fertig zu werden. Joanne versteht diese Theorie von Eve nicht, aber Eve ist eben nicht nur ihre beste Freundin, sondern auch Psychologin. Und was ist Joanne? Joanne ist ›getrennt lebend‹.
    Getrennt, wiederholt Joanne in Gedanken, während sie Paul folgt, der in die Diele zurückgeht. Eine ausgesprochen treffende Beschreibung. Fast ein bißchen schizophren. Getrennt, fährt es ihr durch den Kopf, wie ein Ei.
    An der Treppe warten schon die Mädchen. »Habt ihr alles?« fragt ihr Vater.
    Joanne starrt die Töchter an, sucht in den jungen Frauen, die sie jetzt sind, nach Spuren jener Kinder, die sie einst waren. Lulu hat sich seit dem frühen Kindesalter am wenigsten verändert, denkt Joanne; ihre großen braunen Augen – von ihrem Vater geerbt – sind immer noch der Blickfang in ihrem Gesicht, alles übrige darin dient diesen Augen nur als Hintergrund. Wenn auch die Babybacken flacher geworden sind und dem Gesicht nun etwas Jugendliches geben, wenn auch die Lippen jetzt zu einem beinahe schwulstigen Schmollmund geschwungen sind und die Nase eine ausgeformte Nase ist, nicht nur ein winziges Stück aufgewölbtes Fleisch in der Mitte ihres Gesichts, so sind die Augen doch die gleichen geblieben. Um diese Augen herum ist sie groß geworden.
    Robin sieht anders aus, obwohl auch sie die Stupsnase und den eckigen Unterkiefer ihres Vaters hat. Erst jetzt, mit fünfzehn, beginnt sie sich einen Weg aus der häßlichen Schale zu picken, mit der die Pubertät jeden Menschen umschließt, jene Schale, von der Lulu noch umgeben wird. Dementsprechend paßt im Moment nichts so recht zusammen, die Beine sind zu lang, der Rumpf zu kurz, der Kopf zu groß. In ein oder zwei Jahren, denkt Joanne, wird Robin schön sein, ein eleganter Schwan, der sich aus einem häßlichen Entlein entwickelt hat. Seltsamerweise ist Robins Aussehen zur Zeit – anders als in Joannes Jugend – ›in‹. Entsprechend zieht sie sich an, sogar jetzt. Den Eindruck der Bravheit, den ihre Lageruniform hervorruft, hat sie verwischt, indem sie ihre Shorts keß mit einem Chiffonschal von schreiendem Rosa gegürtet und ihrem Haar eine Superdauerwelle angedeihen lassen hat. Ihre Augen – ganz normale haselnußbraune Augen wie die ihrer Mutter – starren trotzig auf den Boden.
    »Ich warte im Auto«, sagt Paul, öffnet die Haustür und geht hinaus in das helle Sonnenlicht.
    Joanne lächelt ihre Töchter an. Sie fühlt, wie ihr Herz gegen ihren Brustkorb zu schlagen beginnt. Ihr wird bewußt, daß sie in wenigen Minuten zum erstenmal völlig allein sein wird. Ihr ganzes bisheriges Leben hat sie mit anderen Menschen – für andere Menschen gelebt. Aber die nächsten zwei Monate hindurch wird sich niemand um sie kümmern als sie selbst.
    »Mach dir keine Sorgen, Mom«, beginnt Lulu, bevor Joanne das Wort ergreifen kann. »Die Platte kenne ich auswendig: Ich werde
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