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Ein Mann für eine Nacht (German Edition)

Ein Mann für eine Nacht (German Edition)

Titel: Ein Mann für eine Nacht (German Edition)
Autoren: Marisa Mackle
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Kaum zu glauben, dass sich erwachsene Frauen um solches Zeug stritten! Aber allein mit dieser Erkenntnis war June bestimmt nicht zufriedengestellt. Anna ging die Liste weiter durch. Party-Kleidung lief ziemlich schlecht. Mäntel waren die Renner, seit sie letzte Woche die Preise um die Hälfte gesenkt hatten. Aber der Verkauf der neuen Frühjahrskollektion war noch nicht in Fahrt gekommen, was eigentlich nicht verwunderlich war. Immerhin war es erst Januar. Es war einfach zu kalt für dünne Baumwoll-Twinsets.
    „Wie steht es mit den Strickwaren?“, blaffte June und starrte sie durchdringend an.
    „Strickwaren laufen gut.“ Anna schaffte es, ruhig zu antworten.
    „Ich brauche es genauer.“ Sie griff sich einen Chenille-Rollkragenpullover. „Was ist mit denen? Wie viele haben wir in der letzten Woche davon verkauft?“ 
    „Achtzehn“, riet Anna aufs Geratewohl.
    „Ich habe die Zahl zwölf.“
    Na, wenn du es sowieso schon weißt, warum fragst du dann, du blöde frustrierte Kuh?
    Meine Güte, die Frau war so verbiestert. Immer musste sie auf ihr rumhacken. Sie sollte lieber mal ernsthaft über Annas Vorschläge zur Umsatzsteigerung nachdenken. Das würde mehr bringen, denn sie hatte ein besseres Händchen dafür, wie man die Kunden in den Laden zog.
    „Rufen Sie in Navan, Drogheda, Dundalk und Kildare an und fragen, wie sich die Strickwaren bei denen verkaufen. Um fünf Uhr möchte ich dann Ihren Bericht auf meinem Schreibtisch haben.“ Mit diesen Worten rauschte June ab.
    Anna starrte der spindeldürren kleinen Gestalt nach und war versucht, den Stinkefinger zu heben, nahm sich dann aber doch zusammen. Immerhin war sie die Abteilungsleiterin und musste Vorbild sein. June machte einem das Leben wirklich schwer. Eigentlich war es ziemlich unwichtig, wie viele Rollkragenpullover in Kildare verkauft worden waren. Es gab Wichtigeres im Leben. Irgendwo auf dieser Erde fand immer ein Krieg statt. Oder ein Erdbeben. Und sie war jetzt schon dreißig und immer noch Single. Das war entschieden wichtiger als ein paar Rollkragenpullover. Eigentlich machte ihr die Arbeit hier Spaß, aber im Moment war es einfach nur frustrierend. Einmal im Lotto gewinnen. Das wäre was. Dann würde sie eine schicke eigene Boutique eröffnen. Vielleicht in Spanien. Mit eleganten Kundinnen, für die sie exquisite Kleidung aussuchen würde. Vielleicht in Marbella. Viele Iren ließen sich dort nieder. An so einem warmen, sonnigen Ort zu leben, wäre das Paradies. Ein Ort, wo man nicht gleich morgens seinen dampfenden Atem im kalten Hausflur sehen konnte, wo keine verdammten Studenten den Flur mit ihren Fahrrädern blockierten, wo die 50-Pence-Stücke nicht mit dem heißen Wasser davonschwammen, wo nicht jeder die Telefongespräche mithören konnte, weil das gemeinschaftliche Telefon so strategisch im Hausflur positioniert war, und wo die Leute wochentags keine Partys feierten mit lauter lauten Gästen, die morgens nicht einmal aufstehen mussten.
    Anna rief in Kildare an und wartete bis der Geschäftsführer die Zahlen herausgesucht hatte. Wie herrlich wäre es, wenn sie eines Morgens mit dem Koffer in der Hand hier auftauchen könnte, die Sonnenbrille lässig auf den Kopf geschoben, in der Tasche ein One-way Ticket in die Sonne. Dann könnte sie June Nelson sagen, dass sie sich ihre Strickwaren sonst wohin stecken soll.
    Es war ein wahnsinnig langer Tag gewesen, und Anna hatte trotz eines Personalengpasses viele Lieferungen bewältigen müssen. Sie war ziemlich erledigt. Weit nach Ladenschluss, das Reinigungspersonal war schon gegangen, schaltete sie den Alarm ein und verließ den Laden durch die Seitentür. Es war ein trüber, feuchtkalter Winterabend. Die Vorstellung, in ihrer dunklen, klammen und tristen Wohnung herumzusitzen, hob ihre Stimmung nicht gerade. Sie mochte den Januar nicht. Am liebsten würde sie ihn aus dem Kalender streichen.
    Sie hatte Lust, Claire zu besuchen. Bei Claire war es immer schön, und im Kamin brannte ein gemütliches, knisterndes Feuer. Claire hatte immer was Leckeres zu Essen da und teuren Wein kaltgestellt. Andrew würde friedlich zwischen seinen Teddys in seinem gelben Kinderbettchen liegen und Simon auf dem Sofa sitzen und mit der Financial Times kämpfen.
    Aber lieber nicht hingehen, dachte Anna, denn sie wollte nie wieder weg, wenn sie erstmal da war. Und Simon würde dann irgendwann verzweifelt versuchen, sie los zu werden. Er gähnte immer demonstrativ oder bot ihr an, sie nach Hause zu fahren, bevor
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