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Ein Mann ein Mord

Ein Mann ein Mord

Titel: Ein Mann ein Mord
Autoren: Jakob Arjouni
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gewußt zu haben, über den Flur und die Treppe hinunter. Die Wartenden schauten ihm nach, als hätte sie ein Gespenst gestreift. Einen Moment schien es, als wollten alle gleichzeitig losreden, dann sah man sich an und schwieg weiter.
    Ich überlegte, daß die Frankfurt-Plakate nicht nur taktlos waren, sondern, was dieses Amt betraf, auch völlig am Firmeninteresse vorbeigingen. Ihm entsprochen hätten Fotos von den Badestränden Beiruts - MARMOR, STEIN UND EISEN BRICHT - oder äthiopische Wüstenpanoramen - BEI MUTTER SCHMECKTS AM BESTEN. Eine Kampagne für Heimatverbundenheit zu Krisengebieten. Selbst eine Werbung mit doppelter Zielrichtung war möglich. Zum Beispiel hätte das Bild eines thailändischen Mädchens im Arm seiner Eltern - DER SCHOSS DER FAMILIE - nicht nur zur Heimkehr bewegen, sondern ebenso den deutschen Urlaubermann ansprechen können. Allerdings besuchte der so ein Amt eher selten. In solche Gedanken hinein ertönte das Der-nächste-bitte-Peng-Peng, und meine Nummer erschien auf der Tafel. Ein Standardbüro mit Standardmöbeln, Postkarten an der Wand, Topfpalmen im Fenster. Die Frau am Schreibtisch aß Kuchen. Sie war um die vierzig, trug eine weißblonde Perücke, eine rosa Bluse und eine goldene Kette mit Eiffelturmanhänger. Ihr Gesicht war länglich und etwas zerknirscht, und wenn sie sprach, hatte man das Gefühl, sie referiere eine Gebrauchsanweisung für Einwegfeuerzeuge. Der Raum roch nach einem dieser Parfums mit mehreren Geschmacksrichtungen.
    Nachdem sie zu Ende gekaut hatte und sich ausgiebig über den Mund gefahren war, nahm sie einen Stift und sah auf ihren Block. »Nummer hundertdreiundachtzig?«
    »Ja.«
    Sie machte ein Kreuz.
    »Name?«
    »Kemal Kayankaya.«
    »Können Sie buchstabieren?«
    »Das meiste schon. Nur bei Fremdwörtern hapert’s manchmal.«
    Sie sah auf, und ihre Lippen spitzten sich stiefmütterlich. Nachdem sie mich kurz und endgültig gemustert hatte, fauchte sie: »Ihren Namen!«
    Ich buchstabierte. Ohne den Stift abzusetzen, fragte sie: »Staatsbürgerschaft?«
    »BRD.«
    »Deutsch«, verbesserte sie murmelnd, um im nächsten Moment irritiert aufzusehen. »Deutsch…?«
    »Soll ich buchstabieren?«
    Ihr linkes Augenlid zuckte. Während sich unsere Blicke maßen, schob sie den Block beiseite und lehnte sich zurück. Ihre Hände umfaßten die Stuhllehnen.
    »Wenn Sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, Herr…«
    »Kayankaya. Machen Sie den Job schon lange?« Sie stutzte.
    »… das geht Sie wohl kaum was an.«
    »Ich dachte nur. Falls Sie bei jedem Namen, der nicht wie Wurst klingt, so ’ne rasche Auffassungsgabe an den Tag legen, sind Sie vielleicht im falschen Betrieb beschäftigt.«
    Ihre Stirn begann rosa anzulaufen.
    »Noch eine Unverschämtheit, und ich rufe die Kollegen vom Außendienst! Sollten Sie tatsächlich Deutscher sein…«
    »Türke mit deutschem Paß.«
    Ihre Augen blitzten kurz auf, und ihre Chance witternd, sagte sie: »Sie meinen, mit Aufenthaltsgenehmigung - offensichtlich verwechseln Sie da etwas.«
    Ich spürte meinen Kragen enger werden.
    »Hätte ich Aufenthaltsgenehmigung gemeint, hätt ich’s gesagt. Ich hab aber nicht Aufenthaltsgenehmigung gesagt, ich hab was anderes gesagt - wissen Sie noch?«
    Anstatt zu antworten, packte sie die Stuhllehnen fester und machte ein Gesicht, als stellte sie sich bildlich vor, wie ich gevierteilt, gerädert, geköpft würde. Vom Nebenzimmer schwoll Gebrüll an: »… du nix verstehen, mir scheißegal! Hier sprechen Deutsch, nix Neger-Inglisch!« Es folgte ein Schlag auf den Tisch, dann Schritte, danach ging die Tür, und eine andere Stimme kicherte, dann Gemurmel, danach Stille. Die Frau vor mir klammerte sich immer noch mit wutverschobenem Gesicht am Sessel fest und schien die Brüllerei nicht wahrgenommen zu haben.
    Ich deutete zur Seite: »Netter Umgangston.«
    »Wir tun nur unsere Arbeit.«
    »Wieso nur? Haben Sie sich das schon mal…«
    Plötzlich ließ sie die Lehne los, beugte sich vor und schlug die geballten Fäuste auf den Tisch: »Raus!«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Wir sind noch nicht fertig. Ich komme wegen meiner Verlobten, Sri Dao Rakdee. Rakdee mit zwei E. Sie ist Thailänderin. Wir hatten vor, letzte Woche zu heiraten, aber die nötigen Papiere sind noch nicht eingetroffen. Ich wollte fragen, ob man ihr Visum um einen Monat verlängern kann?«
    Anscheinend verblüffte sie die Frage. Dann erschien auf ihren Lippen ein triumphierendes Lächeln, und mit süßlicher Stimme
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