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Ein Lotterie-Loos

Ein Lotterie-Loos

Titel: Ein Lotterie-Loos
Autoren: Jules Verne
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bereit, mit aufzubrechen und niemals zu ermüden, verdiente er wirklich mit jenem Rollon dem Läufer, einem sagenberühmten norwegischen Helden, verglichen zu werden. Zuweilen begleitete er englische Sportsleute, welche gern hierher kommen, um den »Riper« zu schießen, jenen fetteren Piarmigan, als den der Hebriden, und den »Jerper«, ein höchst wohlschmeckendes Rebhuhn, das weit zarter ist, als das schottische. Mit Einbruch des Winters lockte sie dagegen die Jagd auf Wölfe hierher, wenn diese, von Hunger getrieben, sich während der schlechten Jahreszeit über die gefrorenen Seen hinabwagen. Im Sommer wieder die Jagd auf Bären, wenn diese Thiere, von ihren Jungen gefolgt, frisches Grasfutter zu suchen kommen, denen man meist auf Plateaus von tausend bis tausendzweihundert Fuß Höhe nachspüren muß. Mehr als einmal verdankte Joël sein Leben nur der ungeheuren Körperkraft, die es ihm ermöglichte, den Umarmungen der gewaltigen Thiere zu widerstehen, und seiner unerschütterlichen Kaltblütigkeit, die ihm gestattete, sich denselben zu entwinden.
     

    Joël verdankte sein Leben nur der ungeheuren Körperkraft. (S. 23.)
     
    Hatte er aber keine Vergnügungsreisenden durch das Vestfjorddal zu führen und keine Jäger nach den verlassenen Fjelds, so beschäftigte sich Joël mit dem kleinen, etwas entfernt in den Bergen gelegenen Saeter. Hier wohnte ein im Sold der Frau Hansen stehender junger Schäfer, dem es oblag, ein halbes Dutzend Kühe und gegen dreißig Stück Schafe zu versorgen, da der Saeter außer Weiden kein Culturland enthielt.
    Von Natur war Joël zuvorkommend und dienstwillig und deshalb in allen Gaards von Telemarken bei allen Leuten beliebt. Für drei Wesen aber bewahrte er eine grenzenlose Hingebung, und diese waren neben seiner Mutter Ole und seine Schwester Hulda.
    Als Ole Kamp Dal verlassen hatte, um sich zum letzten Male einzuschiffen, beklagte es Joël schmerzlich, seine Schwester nicht gleich ausstatten zu können, um ihr den Verlobten zu erhalten. Wäre er das Leben auf dem Meere gewöhnt gewesen, so hätte er gewiß keinen Augenblick gezögert, an Stelle seines Vetters auf den Fischfang auszuziehen. Zum Anfang der neuen Ehe bedurfte es jedoch einigen Geldes. Da auch Frau Hansen sich nach dieser Seite nicht verpflichtet gehabt hatte, erkannte Joël daraus, daß sie von dem Besitzthum der Familie nichts abzugeben vermöge. Ole hatte also in weite Ferne, nach der anderen Küste des Atlantischen Oceans, ziehen müssen und Joël begleitete ihn auf der Straße nach Bergen bis zur letzten Grenzmarke ihres Heimatthales. Nachdem er ihn da lange umschlossen gehalten, hatte er ihm noch eine gute Fahrt und glückliche Heimkehr gewünscht; dann war er nach Hause zurückgekehrt, um seine Schwester zu trösten, die er nicht nur wie ein Bruder, sondern fast auch wie ein Vater liebte.
     

    Hulda zählte zu jener Zeit achtzehn Jahre. (S. 26.)
     
    Hulda zählte jener Zeit achtzehn Jahre. Sie spielte nicht etwa die »Piga«, wie man die Aufwärterinnen in den norwegischen Gasthäusern nennt, sondern weit mehr das »Fröken«, die Miß der Engländer, das Fräulein der Deutschen, wie ihre Mutter die »Madame« des Hauses war. Welch’ reizendes von blondem, fast goldglänzendem Haar umrahmtes Gesicht, das unter dem leichten Leinenhäubchen, das hinten offen war, um die langen, dicken Flechten hinabfallen zu lassen, hervorschaute! Welch’ hübsche Taille unter dem rothen, grün eingefaßten, prächtig anliegenden Leibchen, das am Brustlatz ein wenig offen stand und mit bunten Stickereien verziert war, während das schneeweiße Hemd daraus hervorsah, dessen Aermel an den Handgelenken von Bändern zusammengehalten wurden! Dazu nehme man noch den rothen Gürtel mit Silberfiligranschloß, der den grünlichen Rock hielt, über welchen sich noch eine Schürze mit bunten Vierecken breitete; und darunter glänzte der weiße Strumpf hervor, der in dem recht hübschen, mit Fransen versehenen Schuhwerk, wie es in Telemarken üblich ist, verschwand.
    Ja, die Verlobte Oles war reizend mit der etwas melancholischen und gleichzeitig lächelnden Physiognomie der Mädchen des Nordens. Wenn man sie sah, dachte man unwillkürlich an jene »blonde Hulda«, deren Namen sie führte und welche die skandinavische Mythologie als glückverheißende Fee um den häuslichen Herd schweben läßt.
    Ihre mädchenhafte, bescheidene und kluge Zurückhaltung that doch der liebenswürdigen Gewandtheit, mit der sie die Tagesgäste der
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