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Ein Lotterie-Loos

Ein Lotterie-Loos

Titel: Ein Lotterie-Loos
Autoren: Jules Verne
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Dankbarkeit, und nichts sollte je im Stande sein, die Bande zu sprengen, die ihn mit der Familie Hansen verknüpften. Im Gegentheil sollte seine Verheiratung mit Hulda diese nur noch enger schließen und für das Leben befestigen.
    Harald war nun vor achtzehn Monaten gestorben. Außer dem Gasthause in Dal hinterließ er seiner Witwe noch einen kleinen, auf dem Berge gelegenen »Saeter«. Der Saeter ist eine Art einzeln liegender Farm von im Allgemeinen geringem, oft ganz verschwindendem Ertrage. Gerade die letzten Monate waren ziemlich ungünstig gewesen. Alle Culturen hatten darunter zu leiden gehabt, selbst die bloßen Weiden, und zwar in Folge jener »eisernen Nächte«, wie der norwegische Bauer sagt, Nächte mit eiskaltem Nordostwinde, welche Felder und Wiesen bis tief hinab ausdörren und schon so manchen Bauer von Telemarken und Hardanger dem Untergange nahe gebracht haben.
    Wenn Frau Hansen gewiß über ihre Lage klar war, so hatte sie darüber doch gegen Niemand, selbst nicht gegen ihre Kinder, etwas fallen lassen. Von kühlem, schweigsamem Charakter, war sie natürlich wenig mittheilsam, was Joël und Hulda oft genug schmerzlich empfanden. Bei der in den nördlichen Gegenden angeborenen Achtung vor dem Haupte der Familie hatten sie jedoch stets hierüber die größte Zurückhaltung bewahrt, so peinlich ihnen das zuweilen sein mochte. Frau Hansen nahm auch nicht gern Rath oder Hilfe an, da sie – nach dieser Seite eine echte Norwegerin – von der Sicherheit des eigenen Urtheils unerschütterlich überzeugt war.
    Frau Hansen zählte jetzt fünfzig Jahre. Hatte das Alter auch ihre Haare gebleicht, so hatte es doch weder ihre hohe Gestalt gebeugt, noch die Lebhaftigkeit des glänzenden blauen Auges verblassen können, dessen Azur sich in den Augen ihrer Tochter widerspiegelte. Ihr Teint allein hatte den gelblichen Schein von Actenpapier angenommen, und einige Falten begannen die freie Stirn zu runzeln.
    »Die Madame«, wie man von den Frauen niederer Stände in ganz Skandinavien sagt, trug stets einen großfaltigen schwarzen Rock als Zeichen der Trauer, den sie seit dem Ableben ihres Gatten Harald noch niemals abgelegt hatte. Durch den Ausschnitt ihres Leibchens traten die Aermel eines ungebleichten Leinwandhemdes hervor. Ein dreieckiges Tuch von dunkler Farbe kreuzte sich über ihrer Brust, hier bedeckt von dem Latze der Schürze, die auf dem Rücken mit großen Spangen zusammengehalten wurde. Den Kopf bedeckte stets ein dichtes Seidenmützchen, eine Art Kinderhaube, welche man sonst nur selten sieht. In gerader Haltung auf dem Holzlehnstuhle sitzend, ließ die ernste Gastwirthin von Dal ihr Spinnrad nur aus den Händen, um eine kleine Birkenholzpfeife zu rauchen, deren Wolken sie mit einem leichten Nebel umgaben.
    Ohne die Anwesenheit der beiden Kinder hätte das Haus wirklich einen etwas düsteren Eindruck gemacht.
    Es war ein tüchtiger Bursche, der Joël Hansen. Fünfundzwanzig Jahre alt, hübsch gewachsen und von großer Gestalt, wie die meisten Bergbewohner Norwegens, bewahrte er einen stolzen Ausdruck ohne Zumischung abstoßender Windbeutelei, und eine entschlossene Haltung ohne Furchtsamkeit. Neben dunkelblondem, fast kastanienfarbenem Haar hatte er tiefblaue, fast schwarze Augen. Sein Anzug ließ die breiten Schultern, welche sich nicht leicht beugten, günstig hervortreten, ebenso die mächtige Brust, in der ein paar Bergführer-Lungen ruhig functionirten, die kräftigen Arme und Beine, welche zu den beschwerlichen Besteigungen der hohen Fjelds von Telemarken wie geschaffen schienen. So wie man ihn für gewöhnlich sah, mußte man den jungen Mann für einen Cavalier halten. Sein mit Schulterlätzen versehenes bläuliches Jaquet, das in der Brust eng anschloß, verlief an der Vorderseite in zwei sich kreuzenden Aufschlägen und zeigte auf dem Rücken bunte Verzierungen, etwa wie man in der Bretagne gelegentlich keltische Westen findet. Der Hemdkragen hatte einen rundlichen Ausschnitt. Das gelbe Beinkleid war unter dem Knie durch ein Band mit Schnalle gehalten. Auf seinem Kopfe saß ein breitkrämpiger Hut mit schwarzer Schnur und rother Einfassung. Die Unterschenkel umschlossen grobe Stoffgamaschen oder dicksohlige Stiefel mit niedrigen Absätzen, in denen das Fußgelenk wie bei den Stiefeln der Strandsischer unter tiefen Falten fast verschwand.
    Seinem Berufe nach war Joël eigentlich Bergführer im Gerichtsbezirk von Telemarken und bis weit nach den Gebirgsstöcken von Hardanger hinein Stets
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