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Ein Lotterie-Loos

Ein Lotterie-Loos

Titel: Ein Lotterie-Loos
Autoren: Jules Verne
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arme Mädchen. Hatte sie, während sie das letzte Andenken von ihrem Ole Kamp hergab, wirklich ein Vermögen geopfert, das ihr Verlobter für sie erträumte?
    Das sechste kleine Mädchen hatte einige Mühe, die Hand in ihre Urne einzuführen. Sie zitterte, das kleine Ding. Endlich erschien die Ziffer.
    »Zwei!« rief der Vorsitzende.
    Halb erstickt vor Erregung sank er damit auf seinen Stuhl zurück.
    »Neuntausendsechshundertzweiundsiebzig!« verkündigte einer der Beisitzer mit laut schallender Stimme.
    Das war die Nummer von Ole Kamp’s Loos, jetzt im Besitz des wucherischen Sandgoïst. Alle Welt wußte es, und Niemand war es ein Geheimniß, auf welche Weise der Geizhals es erworben hatte. Es entstand auch eine Todtenstille statt des Donners der Hurrahs, von dem der große Saal der Universität wiedergehallt haben würde, wenn das Loos sich noch in Hulda Hansen’s Händen befunden hätte.
    Würde nun der Schurke, der Sandgoïst, sein Loos in der Hand hervortreten, um den darauf gefallenen Gewinn einzustreichen?
    »Die Nummer 9672 erhält den Gewinn von hunderttausend Mark, wiederholte der Beisitzer. Wer hat Anspruch darauf?
    – Ich!«
    War das der Wucherer von Drammen, der dieses kurze Wort ausgesprochen hatte?
    Nein, es war ein junger Mann gewesen – ein junger Mann mit blassem Gesicht, der in seinen Zügen, wie in der ganzen Erscheinung, zwar die Zeichen lange erduldeter Entbehrungen trug, aber doch lebte – lebte!
    Bei dieser Stimme hatte Hulda sich erhoben und einen Schrei ausgestoßen, der von der ganzen Versammlung vernommen wurde, dann war sie ohnmächtig geworden…
    Der junge Mann hatte jedoch schon die Menge getheilt und er fing das bewußtlose junge Mädchen in seinen Armen auf.
    Es war Ole Kamp.

XIX.
    Ja, es war Ole Kamp – Ole Kamp, der wie durch ein Wunder den Schiffbruch des »Viken« überlebt hatte.
    Daß ihn der »Telegraf« bei seiner Rückkehr nicht gleichzeitig mit nach Europa brachte, lag einfach daran, daß er sich damals nicht mehr in den von dem Aviso durchsuchten Gegenden befunden hatte.
    Dort war er aber nicht mehr, weil er sich schon an Bord eines anderen Schiffes und auf dem Heimwege nach Christiania befand.
    So etwa lautete die Darstellung Sylvius Hog’s, die er vor Jedem wiederholte, der sie hören wollte, und man darf wohl glauben, daß Alle derselben begierig lauschten. Er erzählte die Rettungsgeschichte mit wirklich triumphirendem Ausdruck, und seine Nachbarn verbreiteten sie weiter an Diejenigen, welche nicht das Glück hatten, ihm nahe genug zu stehen. So pflanzte sich die Neuigkeit fort von Gruppe zu Gruppe bis zu der draußen in den Höfen und den angrenzenden Straßen aufgestauten Menge.
    Binnen wenigen Minuten wußte ganz Christiania, daß der junge Schiffbrüchige vom »Viken« zurückgekehrt sei, daß er das große Loos in der Schulen-Lotterie gewonnen habe.
    Sylvius Hog mußte sich schon herbeilassen, die Geschichte zu erzählen; Ole selbst hätte es nämlich nicht vermocht, denn Joël hatte ihn, während Hulda allmählich wieder zu sich kam, in die Arme gepreßt, daß er fast erstickte.
    »Hulda!… Liebste Hulda! rief Ole nur. Ja… ich bin’s… Dein Verlobter… und bald Dein Gatte!…
    – Schon morgen, meine Kinder, schon morgen! jubelte Sylvius Hog. Noch heute Abend fahren wir nach Dal zurück, und wenn’s auch noch nie vorgekommen sein mag, so wird man einen Professor der Rechtswissenschaft und Abgeordneten des Storthing da bei einer frohen Hochzeit tanzen sehen, wie den ausgelassensten Burschen von Telemarken!«
    Daß Sylvius Hog die Geschichte Ole Kamp’s kannte, erklärt sich durch den letzten Brief, der ihm vom Seeamte nach Dal gesendet worden war. Dieser Brief – der letzte, den er erhalten und dessen er gegen Niemand Erwähnung gethan – enthielt nämlich ein aus Christiania datirtes zweites Schreiben, aus dem er Folgendes erfuhr:
    Die dänische Brigg »Genius« war eben in Christiansand vor Anker gegangen und hatte einige Ueberlebende vom »Viken« an Bord, unter Anderen den jungen Steuermann Ole Kamp, der drei Tage später in Christiania eintreffen sollte.
    Der Brief aus dem Seeamte fügte hinzu, daß die Schiffbrüchigen sich infolge der ausgestandenen entsetzlichen Leiden in höchst geschwächtem Zustande befänden. Aus diesem Grunde hatte Sylvius Hulda nichts von der Rückkehr ihres Verlobten sagen wollen. In seiner Antwort hatte er auch die strengste Geheimhaltung dieser Rückkehr erbeten, eine Geheimhaltung, der man sich gegenüber der
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