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Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Titel: Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Autoren: Dirk van den Boom
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hiergeblieben.«
    Ich konnte nun nicht mehr an mich halten. »Lorn ist Euer Bruder, Dorfschulze?«, fragte ich Gerik.
    Dieser nickte und zeigte dann anklagend auf Lorn. »Der Undankbare ist wegen einer Frau auf die andere Uferseite gewechselt und hat Heim und Hof verraten und verlassen.«
    Lorn blickte halb schuldbewusst, halb rebellisch drein. Offenbar galt hier jemand, der dem jahrhundertealten Inzest zu entkommen trachtete, bereits als Hochverräter.
    »Sie war hübsch und wollte mich«, murrte Lorn leise.
    Seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass sich mittlerweile das eine oder andere daran verändert hatte.
    Geriks Grinsen wiederum entnahm ich, dass dies vermutlich auf beides zutraf.
    Ich hatte von diesem Geplänkel jetzt genug. Ich hatte Autorität beansprucht, jetzt war es an der Zeit, sie auch durchzusetzen. Ich holte tief Luft.
    »Ich geh dann mal«, sagte Lorn, wandte sich ab und marschierte über die schwankende Pontonbrücke wieder zurück.
    Ich stieß die Luft aus und sah ihm nach.
    »Er wird darüber hinwegkommen«, meinte Gerik.
    »Über den Bau der Brücke? Ist das so eine Katastrophe?«
    Gerik sah mich verwirrt an, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, dass er uns wegen einer Schlampe aus Tulivar hat sitzen lassen und wir ihn nicht mehr zurückhaben wollen.«
    Dann wandte sich auch Gerik ab und spazierte auf sein Brückenwärterhäuschen zu.
    Ich warf Selur einen langen, Hilfe suchenden Blick zu, den dieser ignorierte.
    »Dann bauen wir jetzt eine Brücke!«, befahl ich unter Aufbietung aller Restautorität, die ich in mir finden konnte.
    Ob es diese war oder das Versprechen weiterer Zahlungen: Alle machten sich an die Arbeit.
    Ich aber sah der kleiner werdenden Gestalt von Lorn, dem Dorfschulzen von Floßheim, nach und fragte mich, was mich an meinem Amtssitz, in Tulivar selbst, erwarten würde.
    Ich hatte diesbezüglich keine Hoffnungen mehr.
        
     

4   Nach der Brücke
     
    Der Brückenbau lief ohne weitere Zwischenfälle ab. Die Bewohner Floßheims erwiesen sich als friedliche, wenngleich misstrauische Beobachter, von denen jeden Tag eine Abordnung von drei oder vier unserem Treiben zusah. Die Tatsache, dass diese Abordnung im Regelfall nur aus neugierigen Kindern bestand, bestärkte mich in meinem Glauben, dass das Thema ausgestanden war. Als wir die Pontonbrücke nutzten, um die Stämme in den Flussboden zu treiben und die Verbindungsplanken zu montieren, waren wir ohnehin viel zu beschäftigt, um uns viele Gedanken über das Verhältnis der beiden Brüder zu machen. Nach einer Woche, sieben harten Arbeitstagen, stand die Brücke, und sie sah hinreichend vertrauenswürdig aus, dass ich die Überquerung mit unseren Karren zu riskieren trachtete.
    Gerik ließ sich nicht davon abhalten, den örtlichen Priester um seinen Segen zu bitten, damit die Brücke zünftig eingeweiht werden konnte. Ich hielt eine Menge von den Göttern, vor allem dann, wenn sie sich in ihrer unendlichen Weisheit dazu entschlossen, sich aus allem herauszuhalten. Sollte der Priester dazu einen Beitrag leisten können, so war ich der Letzte, der dagegensprechen würde. Die Zeremonie war in der Tat kurz, da auch der Gottesmann ein erkennbares Interesse daran hatte, dem vom Dorfschulzen ausgerichteten und selbstverständlich von mir bezahlten Festmahl beizuwohnen. Wir verabschiedeten uns freundlich, denn wir wollten das Tageslicht nutzen, um so weit wie möglich zu kommen.
    Die Brücke hielt. Wir überquerten den Fluss.
    Von Festivität war auf der anderen Seite wenig zu spüren. Als wir nach etwa einer halben Stunde in das kleine Örtchen Floßheim kamen, war dennoch Neugierde zu spüren. Obgleich Lorn nichts vom Brückenbau gehalten hatte, musste die Urkunde ihre Wirkung nicht verfehlt haben.
    Floßheim als Dorf zu bezeichnen, war eine Schmeichelei. Ich hatte im Verlauf meiner Feldzüge viele Orte kennengelernt, kleine wie große, aber diese klägliche Ansammlung windschiefer Katen, verteilt über ein unregelmäßiges Muster gestampfter Wege, war erbarmungswürdig. Es gab nicht einmal so etwas wie einen Marktplatz, auf dem die hier ansässigen Fischer ihre Fänge feilbieten oder Bauern aus dem Umland andere Nahrungsmittel verkaufen konnten. Offenbar führte man hier ein genügsames, isoliertes Leben, eine Existenz am Rande der Not. Die Menschen, die hier lebten, entsprachen in allem dem Zustand ihrer Behausungen. Sie wirkten heruntergekommen, die Kleidung voller Flicken und Fetzen, die Gesichter verhärmt. Die
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