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Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Titel: Ein letzter Brief von dir (German Edition)
Autoren: Juliet Ashton
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Arbeit zu gehen. Die Zweitklässler würden sich keine Mühe geben, Lucys Gefühlslage zu verstehen. Sie würden sie einfach zur bösen Hexe in ihrem Märchen machen. Orla jedoch fühlte sich als Erwachsene zu Großmut verpflichtet.
     
    Sie hatte sie vermisst, mit ihren aufgeschürften Knien und den straff gebundenen Pferdeschwänzen und ihrem Gezappel. Die Kinder hatten Orla ebenfalls vermisst und ließen es sie mit Umarmungen und fröhlichem Gehopse und geschrienen Fragen nach dem Grund ihrer Abwesenheit wissen.
    «Ruhe, Kinder! Ruhe bitte!» Nach einer Woche Abwesenheit war Orla wieder Miss Cassidy und sprach mit ihrer speziellen Lehrerinnenstimme. «Also bitte, meine Lieben!»
    Achtundzwanzig Popos ließen sich auf den Teppich fallen. Sie saßen im Schneidersitz und legten den Finger auf die Lippen.
    «So ist es schon besser. Ich beantworte eure Fragen der Reihe nach.»
    Solange sie denken konnte, hatte Orla eine «Miss» sein wollen. Damit trat sie in die Fußstapfen ihres Vaters und ihres Großvaters. Sie war die Dritte in der Familie, die den Lehrerberuf ergriffen hatte, aber, wie Pa immer wieder stolz betonte, die erste Frau. Sie benutzte das Wort «Berufung» nicht gern, weil sie alles Prätentiöse und Pompöse verachtete, aber es drückte die Leidenschaft, die tiefe, namenlose Freude, die sie für ihren Beruf empfand, doch am besten aus.
    Daher wunderte sie sich, wie schwer es ihr fiel, an diesem Morgen das Haus zu verlassen. Auf der kurzen Fahrt über die Steinbrücke und die Hauptstraße hinunter war ihr Mund immer trockener geworden, die Unruhe in ihrem Bauch immer stärker. Jetzt, da sie vor ihrer Klasse stand, musste Orla sich sehr konzentrieren, um ihre verzweifelten Gedanken im Zaum zu halten.
    «Miss! Miss!» Das eifrigste Kind der Klasse, das sich immer an die Spitze der Milchschlange drängelte und die Klassenschildkröte an Ostern
und
Weihnachten mit nach Hause nahm, schnipste mit dem Finger.
    «Ja, Niall?»
    «Stimmt es, dass dein Freund gestorben ist, Miss?»
    Die sanfte, lustige Miss Cassidy, geliebt von allen Zweitklässlern, die je in ihrem Klassenraum gesessen hatten, Miss Cassidy, die souverän erklären konnte, wie Babys gemacht wurden, und die eine geübte Schlichterin der gefürchteten Knetgummiauseinandersetzungen war, dieser Miss Cassidy fehlten die Worte. Nialls Frage hatte bestätigt, was Orla befürchtet hatte, seit die Schulglocke um neun Uhr morgens geläutet hatte. Es war noch zu früh.
    «Ich bin nur mal kurz draußen», sagte sie und ging hinaus. Und das war das erste Mal, dass sie ihre Kinder bewusst anlog.

Sims Tagebuch
    21 . Oktober 2011
     
    Bin jetzt seit einer Woche hier und fühle mich schon wie zu Hause. Über alles, was ich an dieser Stadt liebe, würde O sich mokieren. (Sie ist ganz groß darin. Irinnen-Spezialität. Ihre Ma hat praktisch Preise darin gewonnen.) Ich liebe das Gedränge in London, den Lärm, die Energie, die hier Tag und Nacht herrschen. Die ständige Möglichkeit, Abenteuer zu erleben.
    Komischerweise ist Juno zum ersten Mal auf meiner Seite. «Geh mit ihm, Orla. Mich müsste man nicht zweimal bitten, nach London abzuhauen», hat sie gesagt. Diese Frau ist reif für eine Affäre.
    Und das hier kann ich nur meinem Tagebuch anvertrauen: Es ist irgendwie auch aufregend, ohne Orla hier zu sein. Sie ist so sicher in allem, weiß immer, was richtig und was falsch ist. Ohne sie kann ich meinen Gürtel öffnen und nach Herzenslust rülpsen.

Kapitel drei
    S ie sprach mit der Valentinskarte.
    «Diese hier hat er mir geschickt, als er gerade einen Werbefilm für Butter gedreht hat.» Orla hielt eine Postkarte aus Ballymaloe hoch. «Er musste sagen: ‹Sie ist so golden, dass die Heinzelmännchen sie zurückhaben wollen›, und dann musste er vor einem computeranimierten Zwerg weglaufen, den er gar nicht sehen konnte. Auf die Rückseite hat er geschrieben:
Musste Laurence Olivier so etwas eigentlich auch durchmachen? Irgendwann wird es sich gelohnt haben, oder? Wenn wir verheiratet sind und in den Hollywood Hills wohnen?
Und er hat unzählige Herzchen daraufgemalt.»
    Die Valentinskarte antwortete nicht.
    «Mit wem redest du da?» Ma kam aus der Küche gewuselt. Sie hatte sich die flatterige Schürze mit den gelben Ringelblumen ganz eng um ihr schwarzes Kleid gezurrt, das sie extra für die Beerdigung bei einer großen Textilkette gekauft hatte.
    «Mit niemandem.»
    «Gott sei Dank, dass wir die Beerdigung hinter uns gebracht haben. Die sind ja vollkommen
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