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Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Titel: Ein letzter Brief von dir (German Edition)
Autoren: Juliet Ashton
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Lebensmittel im Puppenhaus ihrer Kindheit – bemalte Klumpen. Sie konnte sich überhaupt nicht mehr vorstellen, Essen zu schmecken.
    «Ist es dieser Infekt, der gerade umgeht?», fragte Juno.
    «Ich hatte Schokokekse, aber die sind alle weg.»
    Das hier, dieses Vorschützen von Normalität für Juno, war allemal besser als die hässliche Verwirrung von eben, und Orla hielt sich daran fest. Sie versuchte, den Moment, in dem sie die Worte laut aussprechen musste, so weit von sich fortzuschieben, wie es ging.
    «Ich hab keinen Hunger», sagte Juno und schwang sich auf die Arbeitsplatte.
    «Deine Frisur sieht super aus», sagte Orla zu ihrer Freundin.
    Haare. Als ob Haare auch nur irgendwas bedeuteten.
Sie erhaschte einen Blick auf sie beide in der Chromabdeckung der Dunstabzugshaube. Junos Haare waren von einem feurigen Rot, ihr Gesicht strahlte. Orlas Gesicht dagegen war ein pergamentartiger Fleck unter schwarzem Haar. Sie kämmte mit den Fingern durch die Strähnen. Es fühlte sich so fremd an.
    Juno plapperte, erzählte, nahm das Salzfässchen und streute sich etwas daraus auf die Hand. Sie war so lebendig, dass es fast wehtat, sie anzusehen. Orla wandte sich ihrem eigenen Spiegelbild zu, einem bleichen Geist, der durch die Küche spukte. Sie fragte sich, wie Sim jetzt wohl aussah. Nicht sein Körper, sondern sein Wesen. Bisher war er sein Körper
gewesen
, jetzt war er … Orla wusste nicht, wie sie diesen Gedanken zu Ende denken sollte, also kehrte sie schnell zu der wunderbaren Banalität von Junos Plaudern zurück, versuchte, ihre Sätze zu erfassen.
    «Verstreu hier kein Salz, Ju, das bringt Unglück.» Ihre Lippen klebten an den Vorderzähnen. Sie drückte einen Teebeutel aus und trug ihn feierlich zum Mülleimer. Sie trat auf den Fußhebel, der Eimer öffnete sich, und der Teebeutel fiel daran vorbei auf den Boden.
    Orla ließ den Löffel fallen. Ein schreckliches Geräusch drang tief aus ihr heraus, wie ein Tier, das aus einem engen Käfig gelassen wurde, wie etwas, das schreckliche Angst davor hatte, bei lebendigem Leib verbrannt zu werden.
     
    «Das kann nicht sein.» Juno wiederholte es immer wieder. «Das kann einfach nicht sein.»
    Juno und Sim hatten sich immer gegenseitig misstraut, jeder hatte an dem anderen herumkritisiert, beide verübelten dem jeweils anderen seine Bedeutung für Orla, ihr geliebtes Schweinchen in der Mitte.
    Orla beneidete Juno um ihre Reaktion. Sie war so schlüssig. Sie weinte zwar heftig, aber Orla spürte, dass das bald aufhören würde. Irgendwann würde sich Juno die Tränen abwischen, sich einmal schütteln und sich anderen Dingen zuwenden, während Orla ein Webfehler im Gewebe der Zeit war: Vor ihr lag kein Weg, sondern nur dieses endlose
Jetzt
. «Sein Agent hat mich angerufen. Es ist …» Es fiel ihr schwer, das auszusprechen. In einem Meer der Verzweiflung hasste sie diese Einzelheit mehr als alles andere. «… auf der Straße passiert.»
    «Aber was ist eigentlich eine Lungenembolie?» Junos fünftes Taschentuch war vollkommen durchweicht, und sie nahm das neue, das Orla ihr hinhielt. Sie hockte in ihrer engen Sportkleidung da wie eine Spinne. «Er war doch gar nicht krank. Oder? Sim ist doch nie krank.»
    «Keine Ahnung, was eine Lungenembolie ist.» Es war ihr auch gleichgültig. Es hatte ihn umgebracht. Es hätte auch eine Pistolenkugel oder ein Schlaganfall sein können: Wissen half hier nicht weiter. Selbst wenn Orla Irlands führende Autorität auf dem Gebiet der Lungenembolie wäre, würde Sim dennoch tot bleiben.
    «Hast du mit deiner Ma gesprochen?» Da war er, dieser entschiedene Schnaufer: Juno sammelte sich wieder.
    «Noch nicht.»
    «Ich rufe sie für dich an.» Juno stand auf. «Und dann deine Schule.» Sie war wieder ganz bei sich, wenn auch ein wenig erschöpft. «Du kommst darüber hinweg», sagte sie, und es klang fast wie eine Drohung. «Du hast mich, du hast deine Ma und deine Familie und deine Schüler und
alle
. Wir kriegen dich da durch.»
    Aber wie?
, war alles, was Orla denken konnte. Juno meinte es gut, aber wie um alles in der Welt sollte sie «darüber hinwegkommen», dass sie Sim verloren hatte, ohne, nun ja, Sim?
    «Was ist das denn?» Juno bückte sich und hob ein rosafarbenes Rechteck auf. «Oh, das ist ja …» Sie biss sich auf die Lippe und warf Orla einen entschuldigenden Blick zu.
    «Die hatte ich ganz vergessen.» Orla nahm die Valentinskarte und hielt sie ehrfürchtig in den Händen. «Oh», machte sie, einen süßen
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