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Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Titel: Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
Autoren: Liz Kessler
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lebhafter. »Oder ein Film! Vielleicht sind wir in einem Film gelandet und wissen es nicht mal. Wie in dem, wo der Mann den gleichen Tag immer wieder erlebt.«
    »Oder der, wo einer rausfindet, dass sein ganzes Leben ein inszeniertes Fernsehprogramm ist?«
    »Genau! Das ist hier gar nicht die Wirklichkeit. Es ist eine Doku-Soap!« Juli springt hinter ein Gebüsch. Sie tut so, als ob sie eine Kamera hält, springt neben mir wieder hervor und filmt mich beim Gehen.
    »Aber sicher«, sage ich lachend. »Wer würde schon über mich einen Film machen wollen?«
    Juli filmt weiter. »Vielleicht bist du gar nicht du selbst, sondern ein Klon von dir, und dein wahres Ich führt woanders ein Parallelleben!«
    Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Was, wenn so etwas wirklich möglich wäre? Dann lache ich. »Du hast zu viele Science-Fiction-Bücher gelesen«, sage ich.
    Juli tut so, als ob sie die Kamera über die Schulter hängt. »Du hast recht«, sagt sie. »Habe ich dir von dem erzählt, das ich gerade lese?«
    Und schon ist unser Gespräch vergessen, denn jetzt erzählt sie mir die Geschichte von einem Jungen, der sein ganzes Leben lebt, ohne zu wissen, dass er ein Klon von seinem toten Bruder ist. Wie unheimlich.
    Wir kommen bei ihrem Gebäude an.
    »Kommst du mit rein?«
    »Ich geh lieber nach Hause«, sage ich. »Sonst jammert Dad, wenn ich nicht bald aufkreuze.«
    »Dann bis morgen«, ruft Juli und drückt die große Glastür auf. »Viel Spaß beim Monopoly!« Sie wirft mir theatralisch eine Kusshand zu und winkt mir nach.
    Als ich draußen bin, höre ich ein lautes Scheppern von drinnen, als ob etwas eingestürzt ist. Juli!
    Ich renne in die Empfangshalle. Marmor und Wasserspiele. Julis Gebäude ist anders als die anderen. Vornehmer und älter. Auf der einen Seite ist der Aufzug, daneben ein zweiter, älterer Fahrstuhl, der nicht mehr funktioniert. Ein großer Bogen führt auf den Korridor zu den Erdgeschoss-Apartments. Ein prächtiger Spiegel hängt an der Wand gegenüber des Eingangs, zwischen zwei weiteren Türen. Eine ist offen.
    »Hallo?«, rufe ich. »Juli?«
    Keine Antwort. Sie ist weg; es ist niemand da, und es ist auch nirgends etwas eingestürzt. Ich kehre um und will gehen, doch in dem Moment, als ich die Tür aufdrücke, schaue ich mich noch mal um und sehe jemanden aus dem alten Fahrstuhl kommen. Er hat einen Stapel Holzscheite in den Armen, so hoch, dass ich sein Gesicht nicht sehen kann, und eine Axt unter den Arm geklemmt. Muss der Hausmeister sein.
    Doch dann fällt mir sein Haar über dem Rand der Holzscheite auf. Das ist Mr Barraclough! Was macht der denn hier? Also, ich weiß, dass er dies und das in den verschiedenen Blocks erledigt – es macht ihm nichts aus, selbst Hand anzulegen , wie er es nennt –, aber was macht er in dem Fahrstuhl?
    Der Fahrstuhl ist so einer von den ganz altmodischen Modellen mit einer Eisentür, die man von Hand aufmachen muss. Er war nie in Betrieb, soweit ich mich zurückerinnern kann, sondern wird nur als Stauraum benutzt. Der neue Aufzug daneben funktioniert perfekt, darum hat man sich nie die Mühe gemacht, den anderen wieder zu reparieren, glaube ich.
    »Hi«, sage ich vom Eingang her. Als er zu mir herüberblickt, fallen ein paar Scheite von seinen Armen.
    »Mist«, murmelt er und bückt sich, um sie aufzuheben, wobei ihm aber noch mehr herunterfallen.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, frage ich und hebe die Scheite für ihn auf.
    »Danke.« Er deutet auf die offene Tür. »Ich bringe das alles rüber in den Wandschrank dort.«
    »Warum?«, frage ich und lege die Scheite auf ein Brett in dem Schrank.
    Mr Barraclough schüttelt den Kopf und kehrt zu dem alten Fahrstuhl zurück, um noch einen Stapel zu holen. »Gute Frage«, sagt er, und seine Stimme klingt ganz spröde. Fast flüsternd fügt er hinzu: »Ich will versuchen, das alte Ding wieder in Betrieb zu nehmen, blöd wie ich bin.« Er zieht einen Schraubenschlüssel aus der Tasche und schwenkt ihn. »Die Drähte sind unterbrochen, verstehst du. Ich dachte, ich schließe sie mal wieder an. Absurde Geschichte«, sagt er mit einem Lachen. »Aber man kann nie wissen. Es könnte doch etwas …« Seine Stimme verhallt. Er sieht mich beim Reden nicht an. Ich habe nicht mal das Gefühl, dass er zu mir spricht.
    Er steht da und starrt auf seine Füße hinunter, bis ich ein bisschen kribbelig werde. Hat er den Verstand verloren? Was er redet, ergibt überhaupt keinen Sinn.
    »Ähm, ich sollte mal lieber …
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