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Ein Jahr in London

Titel: Ein Jahr in London
Autoren: Anna Regeniter
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auf.
    „Wie heißt eigentlich der englische Papst, Miss?“
    „Es gibt nur einen Papst in der Welt und zur Zeit ist das ein Deutscher“, erkläre ich.
    „ Rubbish “, meinte ein anderer Schüler aufgebracht. „Jedes Land hat seinen eigenen Papst. Das weiß doch jeder.“
    „Nein, glaub es mir. Es gibt wirklich nur einen.“
    „Irgendjemand hat Ihnen da ganz großen Mist erzählt“, klärt Niall mich auf. Die Kinder schauen mich mitleidig an.
    Bevor ich wieder zu Wort komme, schellt es schon zur Pause und die ganze Klasse springt lärmend auf. Zu meiner Überraschung bedanken sich die Schüler beim Verlassen des Klassenzimmers sogar bei mir. „Thanks, Miss!“
    „Wie fandest du deine erste Deutschstunde?“, frage ich ein mit Sommersprossen übersätes Mädchen. „Great! Deutsch is great!“
    Gott sei Dank finde ich später heraus, dass wir nicht das einzige Volk sind, mit dem die Briten verfeindet sind: Die Franzosen belegen nur knapp den zweiten Platz, und wenn sie mal Pech haben und ein Fußballspiel gegen England gewinnen, dann geht es ihnen genauso wie uns. Was Fußball betrifft, verstehen die Engländer keinen Spaß.
    Einige Wochen nach meinem Dienstbeginn stürzt ein vielleicht 14-jähriger, mir unbekannter Schüler in meine Klasse und baut sich vor mir auf, während ich gerade einer Gruppe von 11-Jährigen die Zahlen von eins bis vier beizubringen versuche.
    „Sind Sie Deutsche oder Französin?“, fragt er mich drohend.
    „Deutsche“, flüstere ich vorsichtig.
    „Na, dann ist ja gut“, entgegnet er und schleicht dann enttäuscht aus dem Zimmer.
    Frankreich hatte am Vorabend das englische Team mit 3 : 1 besiegt.

    Nachmittags, wenn ich an meinem kleinen Tisch die Stunden für den nächsten Tag vorbereite und es sonst ganz ruhig im Haus ist, horche ich nach Lauten aus dem Zimmer unmittelbar neben meinem, mit dem ich mir meinen Balkon teile, höre aber nicht das leiseste Geräusch. Bis doch irgendwann erst ein Schlüssel in der Nachbarstür zu hören ist, und dann, so laut, als stünden sie direkt in meinem Zimmer, die Stimme meines Vermieters und die eines ausländisch klingenden Mannes.
    „O. k., die Miete ist jeden Montag fällig, und wenn du noch Fragen hast, klopf an unsere Tür nebenan.“
    „Vielen Dank, Barry.“
    „Und hier ist der Schlüssel.“
    Ich öffne meine Tür und schiele hinaus. Die Tür nebenansteht noch offen, und ich erblicke einen chinesisch aussehenden jungen Mann mit kugelrundem Gesicht und lachenden Augen. Ein kurzer Arm streckt sich mir entgegen.
    „Hallo, ich bin Yitkee aus Singapur, ich ziehe übermorgen ein.“
    Als ich ihm erzähle, dass ich aus Deutschland komme, ist er begeistert und fragt, ob ich Bohn kenne.
    „Bohn?“
    „Ja, Bohn. Mein Traum ist, einmal nach Bohn zu kommen. Ich liebe Beethoven!“
    Auf meine Antwort, dass ich nicht allzu weit von Bonn aufgewachsen bin, reagiert er mit Jubel: „Das muss Schicksal sein, dass meine Zimmernachbarin aus der Nähe von Bonn kommt!“
    Ich verspreche ihm, ihn irgendwann einmal mitzunehmen und ihm meine Heimat zu zeigen.
    Sein Zimmer, bemerke ich, ist nicht nur kleiner als meines, es ist so schmal, dass man sich regelrecht am Bett vorbeiquetschen muss, um überhaupt bis zum gegenüberliegenden Fenster vorzudringen.
    Yitkee allerdings scheint damit sehr zufrieden, denn er strahlt von Ohr zu Ohr. Da wir von nun an mehr oder weniger im selben Zimmer wohnen werden, getrennt nur von einer jedes Geräusch durchlassenden Pappwand, bin ich sehr froh, dass mein neuer Mitbewohner auf den ersten Blick einen so sympathischen Eindruck macht.
    Mein zweites Treffen mit Yitkee findet einige Tage später statt, als ich morgens um halb acht von dem Lärm eines Lasters aufgeweckt werde, der vor unserem Haus zu parken versucht. Verärgert stelle ich die Kaffeemaschine an und öffne die Gardinen, denn an Weiterschlafen ist wohl nicht mehr zu denken. Der Laster trägt die Aufschrift „Phelps Pianos Kentish Town“, und zu meiner Überraschung sehe ich, wie niemand anders als Yitkee vom Beifahrersitz springt, gefolgt von zwei breitschultrigen, kahlköpfigen Männern, die die Tür zum Rückraum des Wagens öffnen und dort hineinklettern. Sie ziehen und stoßenund schreien sich gegenseitig an, bis ich endlich erkennen kann, was sie zu liefern gedenken. Jetzt ist es erst mal aus mit meinen ruhigen Abenden zu Hause, an denen man sonst nichts hört als die paar Gesprächsfetzen, die von der Straße hochdringen, und ab und zu einem
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