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Ein Jahr in London

Titel: Ein Jahr in London
Autoren: Anna Regeniter
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wirklich den Tag damit, von London nach Brighton und wieder zurückzulaufen.“
    „Zwei Marathons pro Tag? Das kann doch wohl nicht sein“, zweifele ich Jakes Idee an. Wir gehen ihm ein Stück nach, um zu sehen, in welche Richtung er weiterläuft. An einem Imbissstand kauft er auf der Stelle laufend eine Tasse Tee und rennt dann, beim Joggen ein paar Schlucke trinkend, eilig am Strand entlang weiter.
    „Irgendwann werden wir noch rausfinden, was es mit dem Jogger-Mann auf sich hat“, verspreche ich Jake. Wir setzen uns in ein paar rotgestreifte Liegestühle, zahlen dem Strandwart ein Pfund Sitzgebühr und genießen den warmen Sonnenschein.
    Jake ist plötzlich überraschend still geworden.
    „Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, woanders als in London zu wohnen. Wenn man mal hier gelebt hat, muss einem selbst Köln oder Hamburg provinziell vorkommen“, unterbreche ich sein Schweigen. „Ich kenne viele, die nur für ein paar Monate zum Englischlernen nach London gekommen sind und zehn Jahre später immer noch hier sind.“ Er schweigt wieder.
    „Du könntest dir also nicht vorstellen, für eine Weile in einer anderen englischen Stadt zu leben?“, fragt er dann gedrückt.
    Ich spüre, dass ihm etwas auf dem Herzen liegt. Schließlich rückt er mit der Wahrheit heraus.
    „Ich muss in drei Monaten nach Manchester ziehen. Ich habe ein Jobangebot dort, das ich einfach nicht ausschlagen kann.“
    „Ein Jobangebot?“, bekomme ich gerade noch heraus.
    „Man hat mir angeboten, als Talentscout für eine Plattenfirma zu arbeiten. Ich müsste zu so vielen Konzerten wie möglich gehen und mich nach neuen Talenten umschauen. Einen perfekteren Job gibt es glaube ich nicht, oder?“
    Mir fällt nichts ein.
    „Wir könnten uns jedes zweite Wochenende sehen, oder –“, er zögert. „Oder hättest du nicht Lust, mitzukommen? Für ein paar Monate? Wenn es dir nicht gefällt, können wir ja jederzeit wieder nach London zurückziehen.“
    Die Idee kommt zu überraschend für mich, um über die plötzlichen Entwicklungen geschockt zu sein. Ich denke an all die Leute und Orte in London, die ich liebgewonnen habe und schrecklich vermissen würde, und die ganzen Pläne, die ich schon für mein zweites Jahr in der Stadt geschmiedet hatte. Und dann denke ich, wie traurig es wäre, sie ohne Jake ausführen zu müssen, und ich erinnere mich an mein Weihnachten in Manchester und dass es sich sicherlich auch dort gut leben lassen würde.
    „Mit dem Zug bist du in zwei Stunden wieder in London, wir könnten also ohne Probleme einmal pro Monat zurückfahren.“
    „Und was wird aus Elli und Maddie und Felice und den anderen?“
    „Auch in Manchester wirst du nette Leute kennenlernen. Warte es nur ab.“
    „Ich weiß nicht. Ich werde nicht mehr einfach in ein paar Stunden durch den Eurotunnel nach Hause fahren können, nicht mehr in der stickigen U-Bahn wie in einer Sardinendose um Platz kämpfen müssen, nie wieder einfach so gelangweilt durch Soho schlendern ...“ Mir kommen fast die Tränen.
    „Ich fühle mich hier so zu Hause, und ich habe immer das Gefühl, dass ich genau zur richtigen Zeit am richtigen Platz bin. Das möchte ich nicht so einfach aufgeben.“
    „Glaube bloß nicht, dass mir der Abschied leichtfallen wird. London ist und bleibt meine Heimat“, sagt Jake.
    „So wie die Muslime Richtung Mekka beten, werde ich für immer mein Pintglas in Richtung London heben“, sagt er melodramatisch.
    Wieder in London angekommen, berichte ich natürlich sofort Maddie und Elli von meinem Dilemma.
    „Der Norden Englands ist schon sehr schön. Ich könnte mir auch vorstellen, irgendwann zurückzuziehen“, meint Maddie diplomatisch. Aber Elli ist vehement dagegen.
    „Ob du es willst oder nicht, bis November musst du jetzt auf alle Fälle hierbleiben, und wenn ich dich einsperren muss.“
    „Und warum gerade November?“
    „Erinnerst du dich noch an unsere Wette – wer auch immer die meisten Punkte im Celeb-Spotting bekommt, wird ins Ivy eingeladen?“
    „Ich habe natürlich verloren, aber was hat das mit November zu tun?“
    Sie verzieht ihr Gesicht.
    „Nein, natürlich habe ich verloren. Warum müssen aber auch immer die Deutschen gewinnen?!“, fragt sie mit gespielter Verbitterung. „Auf jeden Fall habe ich vor kurzem versucht, einen Tisch für uns im Ivy zu buchen, aber vor November haben sie keinen Tisch zur Verfügung. Nicht mal zum lunch! Und was anders könnte das bedeuten, als dass du unbedingt noch ein
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