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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien
Autoren: Julica Jungehuelsing
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also noch eine Frau in dieser Surfervilla. Außer Jane und Rick, die, wie selbiger betonte, keinesfalls ein Paar waren – „bei Neptun, no way!“ –, wohnte noch Nigel im Haus und eigentlich auch dessen Freundin Naomi. Die war nur im Moment in der Schweiz, und deshalb war ihr Zimmer zu vermieten.

    Naomis Zimmer hatte ein Fenster, durch das ich den Himmel sehen konnte, die Wände waren weiß und der Holzfußboden blank poliert. Darauf lag ein breiter Futon, und das war auch schon das Problem, denn mit der Matratze war das Zimmer voll. Das heißt: Man konnte durchaus so eben um den Futon herumgehen. Und wenn man ihn zusammenrollte, Rick kniete sich hin und führte es mir beflissen vor, war sogar noch Platz für einen Stapel Bücher. Eine Kleiderstange würde da sicher auch hinpassen, wenn ich so was brauchte, und mein Surfbrett könnte ja im Garten wohnen. Am Kopfende des Futons gab es einen schmalen Wandschrank mit Regalfläche für mindestens vier Handtücher und zehn T-Shirts. Das war’s. Und wo sollte mein Mac stehen? Wo mein Stuhl, meine Lampe und mein Tisch? O.k., noch hatte ich die drei Letzteren nicht, aber irgendwann würde ich sie haben. Denn irgendwann möglichst bald würde ich Geld verdienen und folglich arbeiten müssen. Und zwar vor meinem Laptop, überaus spießig auf einem Stuhl an einem mindestens 1,5 Quadratmeter großen Tisch sitzend. Auf den Sofas vor den drei Fernsehern würde ich jedenfalls keinen geraden Satz zustande bringen. Und bäuchlings auf dem raumfüllenden Futon fläzend könnte ich zwar vermutlich ein paar Briefe schreiben oder Notizen über den Australier als solchen in mein Tagebuch kritzeln. Einen an deutsche Zeitschriften verkäuflichen Artikel aber kaum. Oderwar ich jetzt einfach nur wieder unflexibel und schwerfällig deutsch?
    Ich ließ mich neben Rick auf das grüne Sofa fallen, enttäuscht und fast ein bisschen traurig. Seine humorvolle Lässigkeit, das Riesenbad und der Salon unter den duftenden Bäumen gefielen mir. Am liebsten hätte ich mit dem Kontinent auch gleich meinen Beruf gewechselt. Konnte ich nicht tagsüber Barista werden, abends mit Rick Videos gucken und später auf Naomis Futon von haushohen Wellen träumen? Ich sah den jungen Mann mit den Zwirbellocken an, dachte an all die Geschichten, die ich schreiben wollte, dann an die, die ich schreiben sollte, und schüttelte den Kopf: „Sorry, I love it. Aber ich brauche einfach mehr Platz. Nicht zum Wohnen, aber zum Arbeiten.“ Rick nickte etwas angestrengt, antwortete mit einem australisch lang gezogenen „Sure“, und sah mich von der Seite absolut nicht sicher an. In seinem Blick spiegelte sich eine Mischung aus Besorgnis und Ungläubigkeit. Er selbst verdiente seine Miete an drei Abenden in einer Kneipe. Tageslicht mit Aktivitäten zur Geldbeschaffung zu vergeuden gehörte nicht zu den Dingen, um die er andere beneidete. „Man verpasst zu viele gute Wellen, you know …“ Recht hatte er. Aber dennoch. Ich konnte einfach nicht innerhalb von einem Monat Kontinent, Klima, Zeitzone, Sprache und jetzt auch noch den Beruf wechseln. Nur weil in Naomis Schlafzimmer kein Schreibtisch passte.

    Aus irgendeinem Grund hatte Rick Mitleid mit mir. „Yeah, that’s it.“ Er setzte sich auf und kritzelte eine Adresse auf den Rand einer Zeitung, malte sorgfältig eine Kreuzung dazu und ließ wieder eifrig nickend seine Locken tanzen: Mick, genau, das war’s. Bei seinem Kumpel Michael im Haus werde gerade eine Wohnung renoviert. Ein Tipptopp-Apartment, schätze er. Küche, Fenster, Dusche – alles drin. Garantiert nicht extrem teuer. Sonst würde Mick kaum in dem Hauswohnen. Dass das Bad so schön wie seins sei, könne er sich allerdings nicht vorstellen.
    Zwanzig Minuten später war ich wieder unterwegs. In der Hand Ricks Zettel mit der aufgemalten Straßenkreuzung. Die Wairoa Avenue ging am Nordrand von Bondi Beach in schrägem Winkel aufs Meer zu, so weit keine schlechte Lage. An der Ecke standen Stühle und Tische vor einer Sushi Bar, gegenüber war mit Riesenlettern „Jackies“ an die Wand gepinselt, Rundbogenfenster öffneten sich zu einem lichtdurchfluteten Restaurant. Ich lief vorbei an zwei- und dreistöckigen Apartmenthäusern aus den 60ern und älteren Einfamilienhäusern, dann an einer Feuerwache, einem Spielplatz, einem Babyspielzeug-Tauschzentrum, einer Wäscherei und einem „organic health spa“. Gab es wohl auch un organische Gesundheit? Und wie weit war es wohl noch bis zur Nummer 63?
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