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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien
Autoren: Julica Jungehuelsing
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einer Menge freundlich aussehender Lokale. Ich ging zurück zum „Gusto“, einer Art Fensterbank-Straßencafé, in dem ich schon vor Inspektion der Kakerlakenbude auf Ramona gewartet hatte. Der beste Platz im Gusto war auf einem von vier Holzhockern an einem überbreiten Fensterbrett, das zugleich Tresen und Zeitungs-Ablage war. Hier saß man nah genug am Geschehen, um den Duft frischer Kaffeebohnen zu riechen, und hoch genug, um Straße und Fußweg zu überblicken. Auf dem wurden Surfbretter zu Wasser getragen, zahme Papageien auf Schultern spazieren geführt, Schach gespielt und in allen Sprachen der Welt durcheinandergeredet. Wie im Kino, nur dass dazu die Sonne schien.
    Der Kerl mit dem Piercing hinter der Theke machte seiner Espressomaschine Dampf und schüttelte dann energisch den Kopf. „Das ist dein Letzter für heute! Zwei Extrastarkeam Tag sind genug. Hattest du nicht vorhin schon zwei?“ In guten Cafés in Sydney ist das so: Den kleinen Schwarzen brüht nicht irgendwer auf, sondern der Meister der Espressokunst, genannt Barista. Ein guter Barista macht nicht nur vorzüglichen Kaffee, zu seinem Berufsethos gehört auch, dass er seine Kunden kennt, notfalls mäßigt und sich erinnert, was sie trinken. Kommt man zum dritten Mal ins gleiche Café, weiß der Kaffeemacher, ob man sein Koffein als Flat White oder Cappuccino oder Long Black zu sich nimmt oder eher zu den Decaf-Soja-Latte-Typen gehört (aber derzeit wegen der Entgiftungswoche nur Chai trinkt). Erinnert er sich nicht, ist ein echter Barista untröstlich. Oder er ist ein als Barista verkleideter Backpacker aus Österreich, der insgeheim denkt: „Geh’, was soll der Schmarren, die könnten doch alle einfach Große Braune schlürfen, gell.“
    „Ja, stimmt, ich hatte schon zwei“, gab ich zu, „aber das war doch vorhin, vor dieser grausamen Wohnung. Ach was sage ich, Wohnung – ein Albtraum war das.“ Zwar kannte ich den Typen mit den japanischen Schriftzeichen auf der Schulter kaum, aber immerhin wusste er, wie ich meinen Kaffee mochte. Auf eine Art waren wir also schon dicke Freunde. Ich konnte mich nicht bremsen und verfiel in die urdeutsche Untugend des Jammerns. Müll, eng, muffig, dunkel, zu teuer, laut, dreckig, Ramona und überhaupt. Der Kaffeegott, den rundum alle „Mate“ riefen, hörte mit halbem Ohr zu, während er nebenbei weiter Bohnen mahlte und Milch heißmachte. „Immobilien-Tussis“, sagte er, und dann noch „Pah!“ Am Tresen zu sitzen und zuzusehen, wie er mit geschäumter Milch Blumenmuster in die Crema malte, tat meiner Laune gut. Es stimmte mich irgendwie zuversichtlich, denn ein Ort, an dem Männer mit Schulter-Tätowierung und gepierctem Nasenflügel Cappuccinos mit Blumenmotiven verzierten, konnte nicht völlig hoffnungslos sein. „Muss es unbedingt Bondi sein?“, fragte er und musterte mich kurz.
    Gute Frage. Bondi Beach war offensichtlich in Sachen „real estate“, wie Immobilien in Australien hießen, nicht das günstigste Pflaster. Der Vorort lag gut zwanzig Minuten von Innenstadt, Oper und Harbour Bridge entfernt, und damit war er der zentrumsnäheste Stadtteil mit eigenem Surfstrand. Wer zwei Millionen übrig hatte, kaufte sich hier ein Haus, wer nur die Hälfte hatte, eine Wohnung. Und wer neu, Tourist oder nicht ganz bei Trost war, der mietete. Außer gut betuchten Hauskäufern liebten auch Backpacker die Gegend. Das war auflockernd für den Bevölkerungsmix, jedoch mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden. Täglich kamen sie in Hundertschaften aus aller Welt und buchten 20-Dollar-Betten in einem der günstigen Hostels. Wenn ihnen Bondi zu gut gefiel – was oft passierte –, sie sich aber die Hostels nicht mehr leisten konnten – was ebenfalls oft passierte –, teilten sie sich mit fünfzehn anderen drei Zimmer in einem Abbruchhaus. Oder sie zogen in eine der Wohnungen von Ramona. Das entspannte den Mietmarkt nicht gerade.
    Ich mochte die lichten Straßen rund um die halbmondförmige Bucht trotzdem. Ich liebte den genau einen Kilometer langen Strand zwischen den steilen, felsigen Landzungen – auch wenn der weiße Sand an heißen Wochenenden unter all den Schirmen und Handtüchern manchmal kaum auszumachen war. Mir gefielen die pastellbunt gestrichenen Häuser, der verblichene Charme der Art-déco-Blocks und die bunte Mischung von Gesichtern, Sprachen und Nationalitäten in den Straßencafés. Nebenbei war ich ein bisschen verknallt in die knatschgrünen Papageien in den Eukalyptusbäumen,
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