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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien
Autoren: Veronica Frenzel
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in die
Nacht. Später rollen wir auf dem Teppich Isomatte und Schlafsack aus, der Sternenhimmel ist unser Dach.
    Kaffeeduft weckt mich am nächsten Morgen. Nicaren hantiert am Gaskocher, als ich die Augen aufschlage, das Frühstück ist fast fertig. „Wir brauchen nur
noch Brot“, sagt sie und springt, fit wie ein Turnschuh, auf. Das Hippieleben auf dem Land muss ungeahnte Energien freisetzen, denke ich, während ich
meine starren Glieder strecke und Nicaren hinterhersehe, wie sie davonhüpft. Ein paar Hütten weiter klopft sie an die Tür und kommt kurz darauf mit
einem Laib Graubrot heraus. „Unser Nachbar ist Deutscher, und er macht selber Brot“, erklärt Nicaren. Die Solarofenmethode scheint in Beneficio
verbreitet zu sein, doch der Deutsche beherrscht die Technik eindeutig besser als sein italienischer Nachbar; das Brot ist genau richtig gebacken.
    Esther und Pedro machen keine Anstalten aufzuwachen, Nicaren und ich decken deshalb erst einmal den Teppich. Dabei frage ich sie nach Wandertouren in
der Gegend, und sie hat sofort einen Tipp. „Ihr müsst unbedingt eine Tour in der Taha de Pitres machen“, sagt sie. „Das ist eine der ursprünglichsten
Gemeinden der Alpujarra.“ Henry, der gerade für die Morgenwäsche Wasser aus einem Kanister in den Eimer kippt, erzählt, dass eine Gruppe Engländer sich
dort dafür einsetzen, das Erbe der Mauren zu bewahren. Fragend blicke ich ihn an. „Sie studieren die alten Handbücher und machen dann alles genau so,
wie die Mauren es aufgeschrieben haben. Ich habe schon mal mitgeholfen, dieAcequías zu reparieren und neue Terrassenfelder
anzulegen. Das ist echt spannend, man lernt viel über die Maurenzeit.“ Mit einer Tasse duftenden Kaffee in der Hand setze ich mich neben Esther,
tatsächlich wacht sie gleich auf. „Komm, wir gehen wandern!“
    Ich sehe doch noch die abgeschiedenen Bergdörfer von Brenan, in denen die Zeit stehen geblieben scheint. Auf alten Dorfverbindungspfaden steigen wir
von Pitres, dem größten Dorf im Tal des Flusses Rio Trevelez, zu den Weilern Mecina, Fondales und Mecinilla hinab, wo der Esel noch das übliche
Transportmittel ist und wohin nur eine schmale, verwahrloste Straße führt. In den Dörfern sind die Häuser so eng aneinandergebaut, dass kein Auto
dazwischen durchpasst. Die Gassen sind weiß gekalkt, genau wie die Häuser. Unterwegs zwischen den Ortschaften passieren wir alte Dreschplätze, auf denen
früher die Spreu vom Weizen getrennt wurde; heute sind sie moosüberwachsen.
    Esther hakt sich bei Pedro unter, und meine Gedanken schweifen zu Jaime. Wenn es zwischen uns beiden wieder klappen sollte, könnte ich länger in
Andalusien bleiben. „Du hast ihn doch gerade erst ein Mal gesehen“, ermahne ich mich. Der Gedanke, länger in Südspanien zu leben, fühlt sich aber gut
an. Das andalusische Leben hat mich wieder in seinen Bann gezogen. Was mir jedoch Sorgen bereitet, ist meine berufliche Zukunft. Die kräftigen Strahlen
der Herbstsonne blenden mich, meine trüben Gedanken ziehen schnell vorüber. Mit der Organisation der Dreharbeiten werde ich noch bis Dezember
beschäftigt sein. Währenddessen könnte ich mich ja schon mal nach anderen Jobmöglichkeiten umsehen. Spannende Geschichten gibt es in Hülle und Fülle,
sage ich zu mir, während wir zurück nach Pitres stiefeln. „Morgen können wir uns ein buddhistisches Zentrum ansehen, das nicht weit von Beneficio
entfernt ist“, sagt Esther, die meine Gedanken gelesen zu haben scheint.
    Das kleine Gebetszentrum O sel Ling liegt versteckt, hoch oben im Tal des Guadalfeo, am Ende einer zwölf Kilometer langen
Schotterpiste, die nur lebensmüden Fahrern geöffnet sein sollte. Dass ich es mit meinem VW-Bus bis nach oben schaffe, liegt allein daran, dass es keine
geeignete Stelle zum Umkehren gibt. Am Fahrbahnrand tut sich ein Abgrund auf, von dem uns nur ein halber Meter Schotter trennt. Im Schritttempo
schrauben wir uns nach oben. Esther, die neben mir sitzt, scheint meine Ängste nicht zu bemerken, denn ohne Punkt und Komma redet sie über das
buddhistische Zentrum. „Tibetanische Lamas haben es vor etwa 25 Jahren mit Hilfe eines spanischen Paares aufgebaut. Die beiden Spanier waren auf Ibiza
zum Buddhismus konvertiert und für den Bau des Zentrums nach Bubión gezogen. Zwei Jahre später wurde ihr jüngster Sohn Osel geboren, den sie nach dem
Zentrum nannten. ‚O sel Ling‘ heißt ‚klares Licht‘.“ Esther macht eine Pause. Vielleicht ist ihr der Abgrund ja doch
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