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Ein Herzschlag danach

Ein Herzschlag danach

Titel: Ein Herzschlag danach
Autoren: Sarah Alderson
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Das war der Tag, an dem ich mich verliebte.
    Eine andere Erinnerung zeigte uns drei im Garten unseres Hauses in Washington, D. C. Es war kalt. Eiskristalle bedeckten wie Puder den Boden und klar und deutlich hörte ich, wie die Schaufel in den gefrorenen Boden gestoßen wurde. Damals musste ich sieben Jahre alt gewesen sein, denn ich hatte den Hamster zwei Jahre zuvor von meinen Eltern bekommen, als Belohnung, weil ich den Beinbruch so tapfer ertragen hatte. Der Hamster hätte »ein langes, glückliches und sorgenfreies Leben« gehabt, verkündete Jack in seiner Trauerrede vom Kopfende des kleinen Grabes. Und ich erinnerte mich, dass Alex neben mir stand und am Schluss feierlich das winzige, in Stoff gebettete Ding mit der Schaufel ins Grab senkte. Ich erinnerte mich an die heißen Tränen, die mir über die Wangen liefen, und dass mir Alex’ Finger noch heißer erschienen waren, als er nach meiner Hand griff und sie festhielt. Und dass er sie wortlos weiter hielt, bis ich zu weinen aufhörte.
    Ohne Vorwarnung sprang meine Erinnerung zu einer anderen Szene. Es war jetzt fünf Jahre her und ein düsteres Echo des vorangegangenen Ereignisses. Ich war zwölf Jahre und drei Tage alt. Auch das wusste ich genau, weil meine Mutter vor sieben Tagen gestorben war und wir sie nun beerdigen mussten. Wieder hielt Alex meine Hand. Mein Vater, der dafür eigentlich zuständig gewesen wäre, war laut schluchzend vor dem Grab meiner Mutter auf die Knie gesunken. Menschen mit besorgt ausgestreckten Armen umringten ihn. Jack nahm ich nur am Rande wahr; kurz danach schob er sich aus der versammelten Menge und stahl sich davon. Wie mir erst später klar wurde, hatte sich Alex offenbar bewusst dazu entschieden, bei mir zu bleiben.
    Ich konnte mich deutlich an die lehmverschmutzten Schuhsohlen meines Vaters erinnern, aber das war auch schon alles. Von der Trauergemeinde, den Trauerreden, den Gesängen, den Kränzen und Blumengebinden wusste ich nichts mehr. Nein, ich erinnerte mich nur an Dads verschmutzte Schuhe und an Alex, der an meiner Seite gestanden hatte und dessen Hand mir Sicherheit gab wie der Anker einem Schiff im Hafen.
    Auch beim Empfang nach der Beerdigung ließ Alex mich keine Sekunde allein. Ich hatte keine Ahnung, warum er nicht Jack nachgelaufen war, der seinen Beistand ebenso dringend brauchte. Aber Alex hatte nicht einmal versucht, ihn zu finden, sondern war bei mir geblieben. Er hatte mich zu einem abseitsstehenden Sofa geführt, sich neben mich gesetzt und höflich an meiner Stelle geantwortet, wenn sich irgendwelche Leute, deren Gesichter ich nur verschwommen wahrnahm, zu mir herabbeugten und ihr Mitgefühl ausdrückten. Und es war Alex, der mich schließlich an den gedämpft murmelnden Trauernden vorbei zur Treppe geführt hatte. In meinem Zimmer hatte er mich ins Bett gesteckt und zugedeckt, sich auf die Bettkante gesetzt und tröstend meine Hand gehalten, bis ich schließlich eingeschlafen war.
    Und dann, nur ein paar Tage später, hatte mich Dad mit nach London genommen. Ich hatte keine Wahl gehabt, war nicht einmal vorgewarnt worden, abgesehen von einem knappen »Das Taxi kommt gleich«. Keine Zeit zu packen oder mich von meinen Schulfreunden zu verabschieden. Und ich hatte mich nicht dagegen wehren können, denn ich war noch immer vor Trauer wie benommen. Dad hätte mir ebenso gut mitteilen können, dass wir nur mal schnell zum Einkaufen gehen müssten. Jack dagegen war sofort explodiert. Die Wut, mit der er auf Dads Ankündigung reagierte, war verheerend. Mir raubte sie den letzten Rest von Energie. Aber auch mein Vater hatte nicht mehr die Kraft, mit ihm zu streiten. Seine Batterien schienen seit Mums Tod für immer erschöpft zu sein.
    Und so wurde Jack bei Alex’ Familie untergebracht und durfte in Washington bleiben, während ich nach London, in Dads Heimatstadt, ziehen musste. Zuerst empfand ich gar nichts, nicht einmal im Flugzeug, wo Jacks leerer Sitz wie ein schwarzes Loch zwischen uns gähnte. Aber in den Monaten danach, als die Betäubung allmählich nachließ, kochte blanker Zorn in mir hoch. Eine scharfe, beißende Wut auf meinen Vater, der mich aus allem herausgerissen hatte, was ich kannte und was mir vertraut war. Und Wut auf Jack, der mich im Stich gelassen hatte. Und der bei Alex hatte bleiben dürfen.
    Aber wie so vieles im Leben lässt sich auch Zorn nur schwer über längere Zeit aufrechterhalten. Nach ein paar Monaten flaute meine Wut ab, wurde milder, sanfter, bis sie schließlich der
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