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Ein Herzschlag danach

Ein Herzschlag danach

Titel: Ein Herzschlag danach
Autoren: Sarah Alderson
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mich diese kleine Information versetzte.
    Eine halbe Stunde später saßen wir immer noch in der klimatisierten Kühle des Autos. Ich blickte gedankenverloren aus dem Fenster auf den blauen Ozean und stellte mir Alex in Uniform vor. Dann deutete Jack plötzlich mit dem Kopf nach links hinüber. Wir näherten uns einer Abzweigung. Ein großes Schild verkündete, dass hier die Zufahrt zum Camp Pendleton abging, der Basis des Marine Corps. Ein paar Militärtrucks bogen vor uns zum Camp ab.
    Im Vorbeifahren erhaschte ich einen Blick auf die Zufahrtsstraße. »Dort also arbeitest du?«
    »Richtig.«
    »Ist es groß? Sieht jedenfalls groß aus.«
    »Fünfhundert Quadratkilometer. Wir fahren übrigens schon seit einer halben Stunde daran entlang.«
    Das gab mir zu denken. »Du wohnst nicht auf dem Gelände?«
    »Nein, unsere Einheit wohnt außerhalb. Wir müssen näher an San Diego und der Grenze sein.«
    Grenze? Zu Mexiko, vermutete ich, Orange County konnte er damit ja wohl nicht meinen. Ich fragte mich, warum das so wichtig war. Drogenhandel, vielleicht auch illegale Einwanderer – andere Gründe fielen mir dazu nicht ein, aber ich forschte nicht weiter nach. Jack würde mir sowieso keine direkte Antwort geben. Für gewöhnlich wechselte er immer das Thema, wenn ich wissen wollte, was seine Einheit genau machte. Fest stand nur, dass er noch nie im Ausland eingesetzt worden war, dem Himmel sei Dank. Aber es kam mir doch ein bisschen eigenartig vor, dass die Jungs das harte Training hinter sich gebracht hatten, nur um jetzt im sonnigen Kalifornien abzuhängen und in Zivilkleidung mit schnellen Autos durch die Gegend zu brettern. Außerdem: Waren nicht Polizei und Grenzschutz für Drogenhandel und illegale Einwanderung zuständig?
    Ein paar Meilen weiter erreichten wir Oceanside, ein kleines, von der Sonne gebleichtes Städtchen direkt am Pazifik. Ein Ort wie in einer TV -Serie oder einem Film, wo hohe Palmen in der Meeresbrise schwankten. Wir fuhren durch ein paar Nebenstraßen und hielten schließlich vor einem kleinen zweistöckigen Haus an. Es hatte einen Vorgarten mit halb verdorrtem Rasen und eine Holzveranda, die sich über die gesamte Hausbreite erstreckte. Das Haus selbst war grau gestrichen und hatte eine angebaute Garage. Jack drückte auf einen Knopf am Schlüsselbund; die Garagentür öffnete sich.
    Als wir das Haus durch die Garage betraten, blieb ich verblüfft stehen. Ich hatte eine verwahrloste, unordentliche Bleibe erwartet, so ungefähr, wie sein Zimmer früher immer ausgesehen hatte. Stattdessen stand ich in einem Raum, der genauso gut in »Schöner Wohnen« hätte abgebildet sein können. Mir blieb die Luft weg, als ich im Flur einen kleinen Garderobentisch entdeckte. Das letzte Mal hatte ich dieses Tischchen vor fünf Jahren in unserem Haus in Washington gesehen. Ich blickte mich um und erkannte noch mehr Gegenstände aus unserer Kindheit: ein weiß lasiertes Bücherregal im Wohnzimmer, der gerahmte Druck eines Klee-Gemäldes im Flur, der Kleiderständer neben der Haustür. Kein Wunder, dass ich mich schon auf den ersten Blick wie zu Hause fühlte. Es war mir unbestimmt vertraut, wie wenn man im Herbst zum ersten Mal wieder den Mantel vom Vorjahr anzieht. Obwohl sie nie einen Fuß in dieses Haus gesetzt hatte, war meine Mutter überall zu spüren.
    Jack führte mich in die Küche, die mir mit ihrem großen Keramikspülbecken, dem rissigen Linoleumbelag und dem klapprigen Tisch und den Stühlen reichlich altmodisch vorkam. Ich schaute mich nach etwas Vertrautem um, entdeckte aber nur eine Ansichtskarte von Big Ben, die Jack an die Kühlschranktür gehängt hatte. Die Karte hatte ich ihm vor einem oder zwei Jahren geschickt. Ich versuchte mich zu erinnern, was ich ihm damals geschrieben hatte, wahrscheinlich eine meiner üblichen Lügen, wie super es mir doch gehe und so.
    Ich schlenderte hinüber. Die Karte hing zwischen einer ganzen Ansammlung von Notizzetteln und ein paar Fotos. Ich zuckte zusammen, als ich mich auf einem der Fotos erkannte. Es war bei meinem letzten Aufenthalt in Washington vor drei Jahren aufgenommen worden. Mein vierzehnjähriges Ich tat mir im Nachhinein richtig leid. Auf dem Foto sah ich so schuldbewusst aus, als müsste ich ein furchtbares Geheimnis verbergen. Der Witz an der Sache war, dass ich damals noch gar keine Ahnung gehabt hatte, welche furchtbaren Geheimnisse es gab – ich war einfach nur ein verängstigtes vierzehnjähriges Ding gewesen, das entsetzt und verwirrt
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