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Ein Haus in Italien

Ein Haus in Italien

Titel: Ein Haus in Italien
Autoren: Lisa St Aubin de Terán
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siebzehnten Jahrhundert, aus dem achtzehnten Jahrhundert, aus dem neunzehnten Jahrhundert, sie sei für einen berühmten Architekten, einen Spieler, einen Adligen, einen General, einen Franzosen, einen Griechen, einen
Deutschen erbaut worden – und so weiter durch alle Berufe und Nationalitäten. Nicht zwei Geschichten stimmten überein, und jeder schien etwas über il palazzo zu wissen. Deutlich wurde allerdings, daß das scheinbar verlassene Gemäuer am Rande dem Zentrum des Dorfs irgendwie sehr nah war und daß es viele Generationen mit einer Intensität in seine kahlen Räume gezogen hatte, die sich zwischen Magnetismus und Magie bewegte.
    Hinter Scheinwänden, die im palazzo eingezogen worden waren, wurde während des letzten Krieges das Getreide des Dorfes vor den Deutschen versteckt. Auf dem groben Schotter davor hatten die alten Männer als Buben Fußball gespielt, bevor man den neuen Fußballplatz baute. Seine baufälligen Bögen waren das Ziel von Schulausflügen; in seinen Hallen fanden Dorffeste statt; es gab Tanzveranstaltungen, Bälle und Rendezvous. Die Villa Orsola war nie bewohnt, aber auf ihren vielen hundert Quadratmetern waren, von jungfräulichem Stuck umgeben, zahllose Kinder gezeugt worden.
    Später am gleichen Abend fuhren wir, von Glück benebelt, nach Siena zurück. Wir würden einen Film entwickeln lassen, aber bis dies geschehen war, mußten wir uns mit unseren Erinnerungen an die Villa begnügen. Ich hatte aufgrund der Aufregung und der Anstrengung, die es bedeutete, durch den compromesso -Vorvertrag mit seinen vielen Klauseln und Unterabschnitten gehetzt zu werden, eine neue persönliche Bestleistung in Schläfrigkeit erreicht. Der geforderte Preis war so niedrig, daß es unhöflich gewesen wäre, wegen Kleinigkeiten pingelig zu werden, also hatte ich sie an mir vorüberziehen lassen und Tagträumen nachgehangen. Als wir über die Autobahn rollten, bat ich Robbie, mir nochmals den Namen des Weilers zu nennen, in den wir uns gerade einge
kauft hatten, sowie des nahen Dorfes, weil mir beides irgendwie entfallen war. Robbie war nichts entfallen – mit seinen überaus dürftigen Italienischkenntnissen hatte er sie gar nicht erst gehört, sondern angenommen, daß ich es wissen würde, schließlich war ich die Sprachkundige und Praktische von uns beiden. Und so brausten wir über die autostrada , entweder Opfer eines Betruges oder die Besitzer eines namenlosen Haufens exzellent ornamentierten Mauerwerks in direkter Nähe eines Dorfes, das keiner von uns wiederfinden konnte, nicht einmal auf einer Karte.

2. Kapitel
    K rankheit und Unfall suchten die Familie heim und schluckten den größten Teil des Jahres. So wurde es Frühjahr 1989, bis ich von Venedig nach Umbrien reiste, um meinen beiden Kindern den Ort zu zeigen, an dem sie leben würden. Das älteste, als das Kind Iseult bekannt, wurde für diese Bezeichnung augenfällig zu groß. Mit fünfzehn hatte sie, wenn auch nur kurz, in London und Paris als Model gearbeitet. Ihr Leben war erfüllt von wunderbaren Angeboten, und obwohl aus keinem etwas wurde, verliehen sie ihr so etwas wie Glamour unter den Gleichaltrigen, die Iseults möglichen Ruhm mit größter Hingabe diskutierten und dabei mit den Namen der Reichen und Berühmten um sich warfen, als seien sie alte und liebe Freunde. Das gesellschaftliche Leben des Kindes war derart hektisch, daß meines nach den zittrigen Ausflügen einer Greisin aussah. Sie war nach Ferngesprächen süchtig, so daß ich etwas nervös war, als ich sie in eine Villa brachte, die nicht nur kein Telefon hatte, sondern auch kein Licht, kein Wasser, weder Fenster noch Türen, dafür aber ein beträchtliches Loch im Dach.
    Noch besorgter fragte ich mich, wie diese verlassene Baustelle auf ihren sechsjährigen Bruder Allie wirken würde, dem durch die Nonnen von San Giuseppe eine Welt makelloser Ordnung indoktriniert worden war. In Venedig bedeutete eine Schramme an seinen Schuhen, eine Falte in seinem breiten weißen Kragen oder seinem schwingenden schwarzen Kittel, daß er für den Rest des Tages nach Hause geschickt
wurde. Seine Hausarbeiten wurden in Übungshefte mit winzigen Karos geschrieben, Kommas und Punkte mußten eine genau festgelegte Anzahl Millimeter über der vorgegebenen Linie stehen. Abweichung von dieser Präzision war eine häufige Ursache für Tränen.
    Mir grauste davor, ihnen die Unannehmlichkeiten zu zeigen, die vor uns lagen, falls wir die Villa jemals bewohnbar machen wollten. Ich war
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