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Ein Haus geteilt durch 8

Ein Haus geteilt durch 8

Titel: Ein Haus geteilt durch 8
Autoren: Horst Biernath
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regelmäßig Pakete und Päckchen aus Amerika schickte, über die sich Holldorfs Kinder genauso freuten wie die alte Frau selber, denn sie enthielten stets ein paar Tafeln Schokolade und Candys, die Frau Düsenengel’ nicht vertrug, weil sie auf Süßigkeiten stets Sodbrennen bekam. Für die Kinder ein vom lieben Gott gesandtes Leiden. Und alle vierzehn Tage kam ein Luftpostbrief, von dem Peter die amerikanischen Marken ablösen durfte. Wenn der Brief eintraf, verlegte Frau Düsenengel regelmäßig ihre Brille, um einen Vorwand zu haben, sich den Brief von allen Damen des Hauses, wie sie sie nacheinander auf der Treppe oder im Milchladen von Brieskorn traf, vorlesen zu lassen. Zuerst natürlich von ihrer Nachbarin, Frau Holldorf. Auf diese Weise genoß sie den Inhalt ein halbes Dutzend Male, und das ganze Haus war über die Familienverhältnisse bei den Macphersons in Detroit und über das Leben des amerikanischen Dutzendbürgers genauestem unterrichtet.
    Man wußte, wenn Mrs. Tilda Macpherson die ersten Regungen eines neuen Babys spürte, litt mit ihr in den heißen Detroiter Sommern, erschauerte unter den eisigen Blizzards, die im Winter über den Eriesee fegten, erfuhr aufregende Einzelheiten über die ausnahmslos schweren Geburten, bei denen immer etwas Fürchterliches mit der Nabelschnur und den Hälsen der Kinder passierte, und empörte sich über Mr. Jack Macpherson, der diese Schwierigkeiten und halben Strangulationen wenig ernst zu nehmen schien und nicht aufhörte, kleine Macphersons in die Welt zu setzen. Einmal sogar Zwillinge, von denen aber Gwendoline, ein süßes kleines Mädchen, leider schon drei Tage nach ihrem Eintritt ins Leben dieses irdische Jammertal für immer verließ.
    Es läutete bei Frau Düsenengel zweimal kurz. Der Briefträger! Endlich kam er, der lang erwartete und seit fünf Tagen überfällige Brief aus Amerika! Sie nahm sich nicht einmal Zeit, das Gebiß einzusetzen, so eilig hatte sie es, bei Frau Holldorf zu läuten.
    »Na, da ist er ja endlich gekommen, der Brief! Kommen Sie nur herein, Frau Düsenengel.«
    »Denken Sie, Frau Holldorf, ich habe...«
    »Ich weiß schon, Frau Düsenengel, Sie haben Ihre Brille mal wieder verlegt. Geben Sie den Brief schon her.«
    Sie ging durch den winzigen Korridor voraus und nötigte Frau Düsenengel in der Küche zum Niedersitzen, derweil schlitzte sie den hellblauen Umschlag mit dem Aufdruck >Air-Mail< vorsichtig mit ihrer Nagelfeile auf.
    »>Also... Detroit... den achten April... Liebe Oma... Halte Dich bitte fest, ich habe eine große Überraschung für Dich!<«
    »Um Himmels willen«, nuschelte die alte Frau, »es wird doch nicht schon wieder was Kleines unterwegs sein!«
    »Nun hören Sie doch erst einmal, Frau Düsenengel!«
    »... und wenn sie den Kindern wenigstens christliche Namen geben würden, aber wo steht Yasmin im Kalender, oder Deborah, und Washington, Warren und Humphrey? Und Mathilde hat mir geschrieben, daß man das Hömmfri ausspricht... Ich bitte Sie um alles in der Welt, Frau Holldorf. Hömmfri!«
    »Nun hören Sie endlich zu«, sagte Frau Holldorf energisch, denn sie war inzwischen ein paar Zeilen weiter gekommen: »>Wenn Du diesen Brief nämlich erhältst, sind wir beide, Jack und ich, ohne die Kinder, die wir bei Nachbarn untergebracht haben, auf dem Dampfer Ryndam schon von New York weggefahren und mitten auf dem Ozean auf halbem Wege zu Dir. Das Schiff verläßt New York am zehnten April und läuft am neunzehnten Rotterdam an, von wo aus ich Dir ein Telegramm schicken und unsere genaue Ankunft melden werde...< «
    »Mein Gott! Lesen Sie es noch einmal vor, Frau Holldorf«, sagte die alte Frau und griff sich ans Herz, »Mathilde schreibt doch nicht etwa, daß sie zu mir auf Besuch kommt?«
    »Aber gewiß doch, Frau Düsenengel, genau das schreibt sie.
    Aber hören Sie weiter, es sind nur noch ein paar Zeilen: >Natürlich darfst Du Dir auf keinen Fall mit uns irgendwelche Umstände machen. Es kommt gar nicht in Frage, daß Du uns in Deiner kleinen Wohnung aufnimmst. Gewiß gibt es in der Nähe ein Hotel oder einen Gasthof, wo wir Unterkunft finden können. Es braucht nicht das billigste Zimmer zu sein, denn mit unseren Dollars...< «
    »Das fehlte gerade noch«, empörte sich Frau Düsenengel, »daß ich die eigenen Kinder im Gasthaus unterbringe. Was Mathilde sich dabei gedacht hat.«
    Frau Holldorf fand den Vorschlag der Tochter gar nicht unvernünftig, aber sie sprach in den Wind.
    »Im Gasthaus schlafen und
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