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Ein Haus geteilt durch 8

Ein Haus geteilt durch 8

Titel: Ein Haus geteilt durch 8
Autoren: Horst Biernath
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das Haus. Es waren zwei junge Schlakse in engen Hosen und schwarzen Windjacken, von denen Otmar, der ältere von den beiden Jungen, den Vater um Kopfeslänge überragte. Otmar stand vor dem Abitur und bereitete seinem Vater durch die Absicht, Kunstmaler zu werden, viel Kummer. Der jüngere Thomas war fünfzehn Jahre alt; er zeigte weder Neigungen zur Kunst noch zur Schule und war auf der vierten Gymnasialklasse sitzengeblieben.
    »Also los, noch einmal von vorn«, sagte Herr Pünder zu seinem Sohn Thomas und bewegte ungeduldig die Hand, »es ist doch ein kinderleichter Text. Gaius Julius Caesars bellum gallicum. Dreißig Jahre ist es her, daß ich den Anfang auswendig lernen mußte, aber der Text sitzt noch immer. Weshalb? Weil es die glasklare Logik der lateinischen Sprache ist, die das Lernen so einfach macht.«
    »Dir vielleicht«, sagte der Junge mürrisch, »aber ich hab’ eben nicht deinen Kopf. Ich finde Latein zum Kotzen.«
    »Wenn wir nicht auf der Straße wären«, zischte Herr Pünder, »würde ich dir eine kleben. Du hast Ausdrücke wie ein Bierkutscher. Also los jetzt! Gallia est...«
    »Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgi...«
    »Belgae! Herrgott noch einmal! Belgae!!«
    »Warum nicht Belgi, wo es doch Männer sind?«
    Oberregierungsrat Pünder blieb stehen und faltete die Hände.
    »Ein hoffnungsloser Fall«, murmelte er niedergeschlagen und wandte sich an Otmar, »ich brauche meine Nerven für den Dienst im Amt. Erklär du es ihm. Servus!«
    Thomas schaute seinem Vater verdrießlich nach: »Was der sich immer gleich aufregt.«
    Otmar grinste hinter seinem Erzeuger drein. Er schwang das rechte Bein aus dem Stand um das linke, ein alter Pennälertrick, um einem ahnungslosen Kameraden einen heimlichen Tritt zu versetzen, ohne daß der genau feststellen konnte, woher er kam. Er traf den kleinen Bruder genau dort, wo er ihn treffen wollte.
    »Gae! Du Rindvieh«, sagte er, »und wenn du jetzt noch nicht begriffen hast, dann verpaß ich dir noch einen Tritt, daß du von selber gähst.«
    Um diese Zeit hatte auch Professor Dr. Lothar Leghun schon gefrühstückt, und seine Gattin, Dr. phil. Clothilde Leghun, geborene Axam, hatte ihren Roderich zur Schule geschickt. Der arme Junge, der immer noch so aussah, als fielen ihm die langen blonden Locken um die Schultern, die er im ersten Schuljahr noch tragen mußte und deretwegen er einiges durchgemacht hatte, trug in seiner Frühstückstasche mit dem höchst überflüssigen Aufdruck >Mein Frühstück< einen Apfel und ein Stück Schwarzbrot in die Schule, dazu in einer Tüte eine Handvoll Mandeln und Rosinen, die er jedesmal mit der Mahnung mitbekam, sie tüchtig zu kauen, zu fletschern, wie seine Mutter sagte. Aus dem gleichen Schwarzbrot zu Äpfeln und Rosinen bestand auch der Morgenimbiß, den das gelehrte Ehepaar zu sich nahm. Sie hatten sich im Bund für naturgemäße Lebensweise kennengelernt, geheiratet und allen bösen Zungen zum Trotz sogar einen Sohn bekommen, wenn dieser auch in den ersten Lebensjahren wahrhaftig so ausgesehen hatte, als hätte ihn der Storch gebracht.
    Gekocht wurde in dem Professorenhaushalt nie, abgesehen natürlich von dem alltäglichen Aufbrühen eines Pfefferminz-, Lindenblüten- oder Hagenbuttentees. Gegessen wurde kalt und roh, was die Jahreszeit hergab: junge Erbsen, Karotten, Kirschen, Johannisbeeren, Manna, Äpfel, Birnen, Johannisbrot, Orangen, Bananen, Zwiebeln, Knoblauch, und dieser wiederum bewirkte, daß sich die Studenten im Kolleg und Seminar in achtungsvoller Entfernung hielten. Frau Clothilde hätte auch gar keine Zeit gehabt, sich an den Herd zu stellen. Sie arbeitete seit zwölf Jahren an einem astrologischen Werk, einer Lebensarbeit, die auf zwölf lexikonstarke Bände berechnet war und alles in den Schatten stellen sollte, was bis dahin auf diesem Gebiet an Literatur erschienen war.
    Der Professor war Ordinarius für Orientalistik und in diesem weiten Gebiet wiederum Spezialist für arabische Sprache und Literatur. Nebenbei war er musikalisch begabt und bemühte sich um die Wiedererweckung der maurischen Poesie und Musik, die am Hofe der Kalifen zu Granada einst in höchster Blüte stand. Roderich und Frau Clothilde begleiteten ihn auf Blockflöten, wenn er mit nasaler Stimme, die er den Muezzin abgelauscht hatte, die Lieder Abu Dscha’fars, Al Hidscharis, Ibn Ammars oder Ibn As-Zaqqags sang. Da das Haus nicht allzu solid gebaut war (1907 erbaut -1944 zerstört - 1951
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