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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition)
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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veröffentlicht wird, ist Gegenstand einer derartigen totalitären eingehenden Prüfung und läßt sich jederzeit als Beweismaterial gegen den Sprecher oder Verfasser verwenden."
    Was hieran rätselhaft bleibt, ist der Grund, weswegen Mrs. Haldane erst nach Rußland reisen mußte, um dies festzustellen. Sie hätte ebensoviel aus einem Dutzend von Büchern lernen können, von denen sie wohl wenigstens eines nicht zu lesen versäumt hat, nämlich Gides „Retour de l'URSS". Wenn sie nicht glaubte, daß durch Gides Beweismaterial erwiesen sei, daß es eine kommunistische Verfolgung gibt, dann kann ihr kaum die hysterische kommunistische Verfolgung entgangen sein, mit der das Buch aufgenommen wurde und aus der vollkommen deutlich hervorging, welche Behandlung die Kommunisten Gide hätten angedeihen lassen, wenn sie dazu Gelegenheit gehabt hätten. Die einzige Erklärung für ihre Herzensänderung besteht darin, daß alles, was für sie unerheblich erschien, ehe sie nach Rußland ging, plötzlich Bedeutung für sie bekam, während sie dort weilte. Gewiß muß man ihr zu der Ehrlichkeit gratulieren, mit der sie ihre Ansichten änderte. In dem gleichen Artikel stellt sie eine weit wichtigere Frage als die, warum Schriftsteller Stalinisten sein sollten, nämlich: warum Wissenschaftler es sein sollten; diese Frage mag ein Rückblick auf Professor Haldane sein. Sie versucht sie folgendermaßen zu beantworten: „Sie sehen, wie durch ein Glas verschwommen oder mit Vorliebe durch rosa gefärbte Brillen, nichts als ein sozialistisches Land, in dem vom Staate märchenhafte Summen für wissenschaftliche Forschung ausgegeben werden, in dem Wissenschaftler im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung hoch bezahlt werden und in ihrer Arbeit nicht durch die Befürchtung gehemmt sind, daß ihre Entdeckungen von mächtigen Geschäftsleuten zu deren persönlichem Nutzen ausgebeutet werden."
    Vielleicht werden einige persönliche Eindrücke der Professoren J. B. S. Haldane und J. D. Bernal, die ich einige Jahre lang aus der Entfernung beobachtet habe, zeigen, daß Wissenschaftler menschliche Wesen sind wie alle übrigen, und werden unterstreichen, was ich bereits andeutete: nämlich, daß wir nicht eher anfangen können unseren Mitmenschen ungeachtet ihres Intelligenzgrades zu trauen, ehe wir nicht sicher sind, daß ihre Grundsätze von jenem Gefühl für ihre Grenzen gemildert sind, welches ich die Demut nenne.
    An Professor Haldane fällt mir auf, daß er ein Mensch von großen Fähigkeiten ist, unter denen sich allerdings vielleicht die Demut am wenigsten bemerkbar macht. Als er an der Universität von Cambridge lehrte, stand er in dem Ruf, ein ziemlich exzentrischer Professor zu sein, der in heroischer Selbstgefälligkeit schwelgte. Kurz vor dem Kriege, als er Versuche in dem Haldane-Luftschutzbunker machte, wurde in der Presse besonders darauf hingewiesen, daß Professor Haldane darauf bestand, in einem der Bunker zu sitzen, während hochexplosive Bomben in der Nähe abgeworfen wurden.
    Während des spanischen Bürgerkrieges war ich eines Abends auf einer Weihnachtsgesellschaft, die von seiner Schwester Naomi Mitchison veranstaltet wurde, als Haldane, der eben aus Spanien zurückgekehrt war, erschien. Haldane schien ganz unglücklich zu sein, bis schließlich das Silbenrätselspiel mit den Kindern unterbrochen wurde und er endlich die Gäste mit den Erzählungen seiner wilden Abenteuer in Spanien unterhalten konnte. Auf mich macht Haldane den Eindruck, als wäre unter dem Professor bei ihm eine Art Schuljunge, der einen besonderen Reiz am wissenschaftlichen Abenteuer fände. Er scheint ein Vergnügen daran zu finden, gewalttätig zu wirken. Mrs. Haldane hat wahrscheinlich eine andere Seite seines Charakters gekennzeichnet, indem sie darauf hinweist, daß die Wissenschaftler in der Sowjetunion ein ungeheures Feld sehen, auf dem hockgeehrte Wissenschaftler alle Freiheit haben, wissenschaftliche Experimente durchzuführen.
    Dies alles sage ich nicht, um Wissenschaftler wie Haldane und Bernal zu verunglimpfen, sondern nur um darauf hinzuweisen, daß es verkehrt ist, zu meinen, daß Wissenschaftler die gleichen Eigenschaften der Objektivität und Überlegung in ihrem gesellschaftlichen Verhalten an den Tag legen, wie sie dies in ihrem Laboratorium tun. Sie sind wie jeder andere Mensch in Gefahr, sich von ihren Gefühlsregungen hinreißen zu lassen, und planwirtschaftlich betriebene Gesellschaftssysteme bieten ihnen besondere
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