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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
Autoren: Joe R. Lansdale
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grub weiter und legte den Rest der Leiche frei, schließlich auch den Kopf, der nicht mehr auf dem Hals saß, sondern unterm Arm steckte, als wäre das Ganze ein Witz. Obwohl viel Fleisch verwest war, ließen die Überreste des Gesichts und des langen schwarzen Haars erkennen, dass es sich um eine Frau handelte.
    »Das ist die Mexikanerin, die Daddy eingestellt hat, damit sie uns bei der Hausarbeit und auf dem Feld hilft. Sie hieß Normaleen, glaub ich. Ihr Englisch war nicht besonders gut. Daddy hat mir gesagt, dass sie weggelaufen wär. Das war ungefähr einen Monat, bevor wir gesehn haben, wie er Butch hier begraben hat.«
    Richard sackte auf den Hintern, als hätte ihm jemand die Knie weggetreten. »Ich glaub, das sind alles Leute, die für meinen Daddy gearbeitet haben. Ich glaub ...«
    »Glaub ich auch«, sagte ich.
    »Er hat erzählt, sie hätten gekündigt oder wären abgehauen oder er hätte sie gefeuert. Mein Gott, Stanley, er hat diese Leute ermordet!«
    »Ich habe sie nicht ermordet.«
    Richard sprang auf, und ich fuhr herum. Mr Chapman stand dort, wo der Pfad auf die Lichtung mündete, und in der Hand hielt er die Sense, die ich in der Scheune gesehen hatte. Er trug eine Latzhose ohne Hemd darunter, und seine Füße steckten nackt in den Schuhen. Wie ein wirres Bündel schwarzer Keimlinge standen ihm die Haare vom Kopf, und der Wind verlieh ihnen ein Eigenleben. Sein Gesicht war fahl und faltig; den gutaussehenden Mann, von dem Rosy gesprochen hatte, konnte ich darin beim besten Willen nicht mehr entdecken.
    Mir wurde klar, dass Richards Bemerkung über seinen Vater, der eine Katze über den Hof laufen hörte, nicht übertrieben gewesen war. Mr Chapman war aufgewacht, hatte die Sense aus der Scheune geholt und war uns gefolgt.
    »Ihr hättet Butch nicht wieder ausgraben sollen«, sagte Chapman. »Ich hatte ihn zur letzten Ruhe gebettet.«
    »Hast du ihn auch umgebracht?«, fragte Richard. »Hat er mal im falschen Augenblick gebellt?«
    »Butch hat mich nie enttäuscht. Und was die anderen Leute angeht: Einem Gerechten gibt Gott die Macht der Entscheidung über solche Dinge. Wusstest du, dass Gott zu mir gesprochen und mir befohlen hat, mit dir dasselbe zu tun, was Abraham mit Isaak tun sollte? Ich sollte dich mitnehmen und dich töten. Bloß dass Gott mir nicht in letzter Sekunde erschienen ist, um mich daran zu hindern. Ich habe einfach nicht gehorcht. Deine Mutter fand, dass man so etwas nicht tut. Sie meinte, dass die Leute nach dir fragen würden, und dass du ein guter Arbeiter werden würdest. Kannst du dich daran noch erinnern, Junge?«
    »Nein, Sir«, antwortete Richard zitternd.
    »Natürlich nicht. Als du fünf Jahre alt warst, hab ich dich auf eine kleine Eichhörnchenjagd mitgenommen. Und ich hatte vor, dir in den Hinterkopf zu schießen, wie Gott es mir befohlen hatte. Es sollte ein kleiner Jagdunfall werden, aber ich hab versagt. Ich hätte mich an sein Wort halten sollen, das hätte uns das Leben einfacher gemacht. Dich großzuziehen hat mir und deiner Mama nichts Gutes gebracht. Alle Welt hätte geglaubt, dass es nur ein Unfall gewesen wäre. Gott hat mich geprüft, wollte wissen, aus welchem Holz ich geschnitzt bin – doch er hat mich nie aufgefordert innezuhalten. Das war meine eigene Entscheidung, und es war ein Fehler. Aber es war das einzige Mal, dass ich Gott enttäuscht hab. Bei diesen anderen Leuten hab ich ihn nicht enttäuscht. Als er mir erschienen ist und mir gesagt hat, was ich mit ihnen machen soll, hab ich ihm gehorcht. Aber du warst mein Sohn, deswegen hab ich dich nicht getötet. Und das hab ich jetzt davon. Du wirst mich den Ungläubigen ausliefern, stimmt’s?«
    »Wofür denn?«, fragte Richard.
    Chapman lachte. »Das war schlau, Junge. Du bist genauso schlau wie deine Mutter. Weißt du, von dem Tag an, als ich dich in den Wald mitgenommen und schließlich doch verschont hab, weil ich nicht vergessen konnte, was deine Mama gesagt hat – von dem Tag an ging alles den Bach runter. Die Saat gedeiht nicht. Die Welt verändert sich. Die Nigger wollen eigene Rechte. Sünde und Frevel, wohin man auch sieht. Das kann ich nicht hinnehmen. O nein, das werde ich nicht hinnehmen. Deine Mama, die lasse ich jeden einzelnen Tag dafür büßen. Aber nicht, weil ich das will, Sohn, sondern weil Gott es von mir erwartet. Und trotz ihres Irrtums ist sie eine rechtschaffene Frau. Ja, das ist sie, und sie nimmt ihre Strafe hin, denn sie weiß, dass sie das muss. Keinen dieser Menschen
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