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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
Autoren: Joe R. Lansdale
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Fall.«
    »Was meinst du damit?«
    »Bin bald wieder da.«
    Ich weiß nicht genau, was für Befürchtungen mich beschlichen oder warum ich dachte, dass er Verstärkung brauchen könnte, aber ich sagte: »Warte noch kurz, dann komm ich mit. Wenn wir sicher sind, dass alle schlafen, dann gehen wir beide zusammen. Du musst das Fahrrad irgendwo in der Nähe verstecken. Hinterm Haus im Wald. Dann bringen wir es morgen her und sagen, wir hätten es nach der Schule geholt. Wenn sie es morgen früh schon sehen, wissen sie, dass wir nachts abgehauen sind.«
    »Du musst nicht mitkommen«, sagte Richard.
    »Ich weiß. Aber ich mach’s trotzdem.«
     
    Ich griff mir meine Hopalong-Cassidy-Taschenlampe, und wir schlichen leise durch die Hintertür hinaus – auch wenn ohnehin jeder Lärm, den wir verursacht hätten, von Rosys Schnarchen übertönt worden wäre.
    Da wir nur ein Fahrrad hatten, gingen wir zu Fuß. Nub begleitete uns. Er trottete neben uns her und beschnüffelte den Boden. Es wehte ein kühler spätsommerlicher Wind, der sanft die Bäume an den Straßenrändern ins Schwanken brachte, sodass die Schatten ihrer Äste hin und her über die Straße glitten, als wollten sie sie zersägen.
    Als wir die alte Sägemühle sahen, hielten wir an. Nub setzte sich hin und ließ die Zunge aus dem Maul hängen. Speichel tropfte auf die Erde.
    Dann sagte Richard: »Ich komme mir fast vor wie der kleine farbige Junge, der unter den ganzen Sägespänen liegt, und niemand schert sich drum. Der einzige Unterschied ist, dass ich nicht tot bin. Wenn ich tot wär, wär’s vielleicht einfacher. Vielleicht geht’s dem Jungen jetzt viel besser.«
    »Sag doch nicht so was«, erwiderte ich.
    »Was anderes fällt mir aber nicht ein. – Komm, wir laufen hinter der Sägemühle lang, schleichen uns am Haus vorbei und dann rüber zur Scheune. Jetzt bellt da kein Hund mehr, also kommen wir ganz leicht ran. In der Scheune hol ich mir ’ne Schaufel.«
    »Eine Schaufel?«
    »Ja. Ich will Butch ausgraben.«
    »Wie bitte?«

23
     
    Was redest du da? Du wolltest doch nur dein Fahrrad holen!«
    »Das auch«, sagte er.
    »Warum willst du denn einen toten Hund ausgraben – einen toten Hund, der deinem Vater gehört?«
    »Genau das ist es ja. Ich werd ihn ausgraben, weil er ihm so viel bedeutet hat. Um den Hund hat er geweint. Ich hab noch nie gesehn, dass er um irgendwas auch nur eine Träne vergossen hat. Um mich sowieso nicht. Nichts und niemand hat er so lieb gehabt, dass ihm das überhaupt jemals über die Lippen gekommen wär, außer diesen Hund. Ich hab dir doch davon erzählt, wie ich mal den ganzen Tag Baumwolle pflücken musste. Hab so viele Säcke geerntet wie ein erwachsener Mann, und da war ich erst neun. Und er hat nicht ein einziges Wort dazu gesagt. Aber dem verdammten Köter hat er ständig gesagt, was für ein braver Hund er ist. Mich hat er nie gelobt. Kein einziges Mal.«
    Wir setzten uns wieder in Bewegung. Nub ließ uns im Stich und rannte in den Wald, um sein Geschäft zu erledigen.
    »Manchen Leuten fällt es eben schwer, ihre Gefühle auszudrücken«, sagte ich.
    »Seinem Hund gegenüber konnte er sich ausdrücken.«
    »Und was hast du davon, wenn du den Hund jetzt ausbuddelst?«
    Wir ließen die Sägemühle hinter uns und gingen weiter in Richtung der Chapman-Farm.
    »Ich will ihm den Hund auf die Terrasse legen. Ich grabe das Viech aus, weil er wegen ihm geweint hat und wegen mir nie auch nur feuchte Augen bekommen hat. Er hat sich die Mühe gemacht, ihn zu beerdigen, also werd ich ihn jetzt wieder aus der Erde rausholen.«
    »Richard, das ist doch verrückt.«
    »Ich find’s gar nicht verrückt. Jetzt sei still.«
    Inzwischen hatten wir die Farm fast erreicht. Einen Moment lang blieben wir stehen und betrachteten das Gebäude, das in die Schatten der umstehenden Bäume getaucht war.
    »Daddy hat einen leichten Schlaf. Er hat immer behauptet, er kann eine Katze über den Hof laufen hören, und ich glaub, das stimmt.«
    »Klingt nicht gerade ermutigend«, sagte ich.
    »Wir laufen nach hinten zur Scheune. Da steht ein Spaten.«
    »Ich weiß nicht, Richard.«
    »Hör mal, Stanley, ich hab dich nicht gebeten mitzukommen. Ich rechne dir hoch an, dass du hier bist, aber ich hab dich nicht darum gebeten.«
    »Du hast gesagt, du willst dein Fahrrad holen.«
    »Das mach ich auch.«
    »Von dieser Sache mit dem Hund hast du nichts gesagt.«
    »Ich hab auch gar nicht gewusst, dass ich das machen will. Erst vorhin, als ich vor der alten
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