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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
Autoren: Joe R. Lansdale
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hinterher. Nub stand an der Kante des Holzbodens und bellte wie wild.
    Richard verschwand durch eine offene Tür im oberen Stockwerk und kam mit einem alten, verwitterten Kantholz zurück. »Daddy, kehr um!«
    Chapman hob den Kopf. »Ich bin nicht dein Daddy. Du hast keinen Daddy.«
    Er kletterte weiter. Da stieß Richard den Balken mit aller Kraft hinunter. Das Holz traf Chapman genau auf den Kopf und riss ihn rückwärts zu Boden. Die Sense schlitterte durchs Laub, und die geschwungene Klinge blitzte im Mondlicht auf wie ein tödliches Lächeln.
    Chapman schüttelte den Kopf und befühlte sich die Stirn. Ich konnte sehen, dass etwas Dunkles zwischen seinen Fingern hervorquoll.
    »Du Teufelsbalg«, schrie Chapman. »Du gottloser Bengel! Dafür sollst du büßen!«
    Richard setzte sich an den Rand der Plattform und trat nach der obersten Leitersprosse. Sie knackte. Er stieß noch einmal mit dem Fuß dagegen, und sie löste sich und fiel nach unten. »Halt mich fest«, sagte er. Ich packte ihn am Arm, er schwang sich hinunter und versuchte, die nächste Sprosse loszutreten, aber es war zu spät. Chapman schrie auf, griff nach seiner Sense und ließ sie hoch über sich durch die Luft sausen. Die Klinge fuhr knapp unter Richards Fuß vorbei.
    »Zieh mich wieder rauf«, rief er.
    Eine zweite Aufforderung brauchte ich nicht. Sofort riss ich ihn zu mir hoch.
    Chapman begann wieder mit dem Aufstieg, und ich wusste, diese eine fehlende Sprosse würde ihn nicht aufhalten.
    »Los, komm mit«, sagte Richard.
    Ich schnappte mir Nub, und wir liefen in die alte Sägehalle. Mondlicht fiel durch verrottete Stellen im Dach und spie seine Strahlen quer über den Boden.
    »In der Mitte ist das Holz durchgefault«, sagte Richard. »Halt dich an den Außenwänden.«
    Vorsichtig hasteten wir an der Wand entlang, und das gesamte Gebäude geriet ins Wanken. »Wenn alle Stricke reißen, können wir in den Sägemehlhaufen rutschen«, sagte Richard. »Aber nur im Notfall. Ich weiß nicht, ob wir da je wieder rauskommen.«
    »Wir sitzen in der Falle, Richard.«
    »Geh nicht in die Mitte. Bleib hier.«
    Wir erreichten das andere Ende der Halle. Zur Sägemehlrinne war es gar nicht mehr weit. Chapmans Umrisse verdunkelten den Türrahmen, dann stürzte er vorwärts. »Jetzt gnade euch Gott!«
    »Gott kann mich am Arsch lecken«, gab Richard zurück.
    Chapman brüllte und rannte quer durch die Halle. Das Gebälk wankte, der Fußboden ächzte, die Dielen hüpften – dann krachte es, und Chapmans rechtes Bein fuhr geradewegs nach unten. Es versank so schnell im Boden, dass sein linkes Bein, das auf der oberen Etage blieb, unter ihm krümmte, nach hinten wegknickte und sich so verdrehte, dass allein schon der Anblick schmerzte. Ein Stück Knochen hatte sich durch sein Fleisch gebohrt und seine Latzhose aufgerissen; es ragte aus dem Stoff wie ein schmutziges Stöckchen. Außerdem sah ich, dass dort, wo der Boden zersplittert war, die Spitze einer Diele Chapman in den Unterleib gefahren war. Die Sense hatte er fallen lassen.
    Er stieß einen gellenden Schrei aus, und ich dachte, allein dieses Geräusch müsse das Gebäude zum Einsturz bringen. »Du Scheusal«, brüllte er. »Du Dämon. Gott verfluche dich dafür, dass du so ein Satansbraten bist. O gnädiger Gott, erlöse mich von meinen Schmerzen und von diesem Jungen!«
    Ich schaute zu Richard. Ein Mondstrahl schien auf sein Gesicht. Ich konnte Tränen in seinen Augen erkennen. Schritt für Schritt näherte er sich seinem Vater. Der Boden knarrte.
    »Sei vorsichtig, Richard«, sagte ich. »Pass bloß auf.«
    Richard hob die Sense auf und sagte: »Geh aus dem Weg, Stanley.«
    »Nein«, sagte ich. »Tu das nicht.«
    »Geh zur Seite.«
    »Mach das nicht, Richard.«
    »Dann nimm dich vor der Klinge in Acht, Stanley. Daddy, Gott erfüllt dir einen letzten Wunsch. Du wirst keine Schmerzen mehr haben, und du brauchst dir auch um mich keine Sorgen mehr zu machen.«
    Ich sprang zurück und drückte mich an die Wand. Ein leises Flüstern huschte an mir vorbei, ein silbernes Funkeln, und Nub bellte wie verrückt.
    Es sah aus, als würde die Klinge einige Zentimeter vor Chapman durch die Luft sausen, und für einen kurzen Augenblick dachte ich, Richard hätte ihn verfehlt. Dann kippte Chapmans Kopf zur Seite und fiel in den Abgrund, der sich unter ihm aufgetan hatte. Ein dunkler Schwall sprudelte aus seinem Hals, und warme Spritzer trafen Richard, Nub und mich. Chapmans Körper neigte sich, die Bretter knackten,
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