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Ein Fall zu viel

Ein Fall zu viel

Titel: Ein Fall zu viel
Autoren: Irene Scharenberg
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kam er ohne Umschweife zur Sache und hielt dem Arzt Lochhausners Unterschrift unter die Nase.
    Gerstenschneider wurde eine Spur bleicher. Seine Hände begannen zu zittern. Während Pielkötter das mit Genugtuung registrierte, signalisierte Barnowskis Blick, dass auch ihm die Veränderung des Arztes nicht entgangen war.
    »Das ist ungeheuerlich«, schrie Gerstenschneider plötzlich. »Unverschämt, wie hier mit einem unbescholtenen Bürger umgegangen wird.« Seine ohnehin nicht gerade großen Augen hatten sich zu zwei Sehschlitzen verengt. Was Pielkötter noch davon sah, gefiel ihm nicht. »Das lasse ich mir nicht bieten. Nur weil die Sölle sich für ihren Selbstmord meine Praxis aussuchen musste, stehe ich jetzt als Verdächtiger da. Nein, nicht mit mir. Ich will mit meinem Anwalt sprechen.«
    Der Mann schien völlig außer sich zu sein. Am liebsten hätte Pielkötter seine Dienstwaffe gezückt, ließ es dann aber bleiben. Zweifellos konnte das mächtig Ärger geben. Schließlich hatte Gerstenschneider noch als unschuldig zu gelten.
    »Ich rufe jetzt auf der Stelle meinen Anwalt an«, erklärte der Arzt aufgebracht. Auffallend langsam wandte er sich um und ging in Richtung Schreibtisch. Erneut rannen Schweißtropfen Pielkötters Schläfen hinab. Das Grummeln in der Magengrube verstärkte sich. Sobald der eine Schublade öffnet, ziehst du die Waffe, nahm er sich vor. Egal, wie viel Ärger das gibt. Barnowski folgte dem Doktor. Wahrscheinlich hatte auch er dieses Gefühl, gleich könnte etwas Unvorhersehbares passieren.
    Inzwischen hatte Gerstenschneider die Längsseite des Schreibtischs erreicht. Pielkötters Atem beschleunigte sich. Noch zwei Schritte, dann würde der Arzt direkt vor den Schubladen stehen. Was konnte er dort nicht alles verborgen haben. Barnowski war dicht hinter ihm. Angespannt starrte Pielkötter auf den Schreibtisch. Seine Nackenhaare schienen sich aufzurichten.
    Plötzlich schnellte der Arzt herum. In seiner Rechten blitzte ein spitzer Gegenstand aus Metall. In der nächsten Sekunde drückte er die Spitze gegen Barnowskis Halsschlagader.
    »Die Hände sofort in den Nacken«, befahl er, ehe Pielkötter die Dienstwaffe aus dem Halfter ziehen konnte. »Eine falsche Bewegung und ihr Kollege verblutet auf der Stelle.« Er lachte hysterisch. »Glauben Sie mir, ich weiß genau, wo ich schneiden muss. Und ich habe wirklich nichts mehr zu verlieren.«
    »Ganz ruhig.« Pielkötter nahm die Arme hoch. Sein Herz schlug wahrscheinlich genauso schnell wie das von Barnowski. Er musste unbedingt Zeit gewinnen, den Arzt beschwichtigen, irgendetwas tun, um Barnowski aus der Gefahr zu befreien. Nicht auszudenken, wenn seinem Mitarbeiter etwas zustoßen würde. Er war mit ihm hierhergefahren, obwohl er das von Anfang an intuitiv als riskant eingeschätzt hatte. Er hätte vorsichtiger sein müssen. Sollte sein Mitarbeiter verletzt werden, würde er sich das nie verzeihen.
    Er musste reden, einfach immer nur reden. Gerstenschneider konzentrierte sich hoffentlich auf ihn, bis er einen Ausweg fand. »Ich habe nicht vor, meine Waffe zu ziehen«, erklärte Pielkötter in einem Ton, von dem er annahm, dass er beruhigend klang. »Wir können über alles sprechen. Egal, was gewesen ist, dafür wird es mildernde Umstände geben. Selbst wenn Sie Sandra Sölle umgebracht haben, hatten Sie bestimmt Ihre Gründe. Sie wollten doch Ihren Anwalt anrufen. Tun Sie das. Das war wirklich eine gute Idee. Der holt das Beste für Sie heraus.«
    Gerstenschneider starrte ihn hasserfüllt an.
    Pielkötter änderte die Taktik ein wenig. »Egal, ob Sie mich mögen oder nicht. Egal, ob Sie mir vertrauen oder nicht, verflixt, Sie sind im vollen Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten. Deshalb müssen Sie kapieren, dass ein weiterer Mord vollkommen sinnlos wäre. Dann ist es mit den mildernden Umständen vorbei.«
    Pielkötters und Barnowskis Blicke kreuzten sich. Hilfe, warum verspürte er diese Solidarität gerade jetzt in solcher Deutlichkeit? Auf keinen Fall durfte seinem Mitarbeiter die kleinste Kleinigkeit passieren. Er musste den Arzt in ein Gespräch verwickeln, bis er aufgab oder ihm selbst etwas einfiel, ihn zu überwältigen. »Eigentlich hatte es die Sölle doch nicht anders verdient«, setzte er einen Impuls.
    »Die dumme Gans«, ging Gerstenschneider mit wildem Blick darauf ein. »Anstatt sich loyal zu verhalten, hat sie mir Vorschriften gemacht. Ich habe wirklich alles versucht, sie umzustimmen. Aber sie wollte nicht auf mich hören.
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