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Ein Fall für Kay Scarpetta

Ein Fall für Kay Scarpetta

Titel: Ein Fall für Kay Scarpetta
Autoren: Patricia Cornwell
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Vorstrafen. Das einzige, was er je erhalten hatte, war ein Strafzettel wegen Geschwindigkeitsübertretung. Er war erst siebenundzwanzig Jahre alt.
    In dem zusammenfassenden Bericht der Polizeiakte stand, daß er verschiedene Jobs gemacht hatte: Lastwagenfahrer, Telefonist in einer Zementfabrik in Cleveland Postbote und Lieferbursche für einen Blumenladen in Philadelphia.
    Marino konnte ihn am Freitag abend nicht finden, aber er suchte nicht sehr lange. Ab halb zwölf Uhr befand sich Marino auf meinem Grundstück, versteckt hinter einem Busch, und wachte. Er hatte einen dunkelblauen Polizeioverall an, damit man ihn in der Dunkelheit nicht entdeckte. Als er die Deckenlampe in meinem Schlafzimmer anmachte und ich ihn in dem Overall stehen sah, mit der Pistole in der Hand, wußte ich eine lähmende Sekunde lang nicht mehr, wer der Mörder und wer der Polizist war.
    "Sehen Sie", sagte er jetzt, "ich habe mir Gedanken über diese Verbindung zu Abby Turnbull gemacht. Über die Möglichkeit, daß er hinter ihr her war und fälschlicherweise ihre Schwester umgebracht hat. Das beunruhigte mich. Ich fragte mich, welche andere Lady in der Stadt macht ihm das Leben schwer?" Er sah mich nachdenklich an.
    Als Abby eines Abends von der Redaktion nach Hause verfolgt wurde, wählte sie die 911, und es war McCorkle, der den Anruf entgegennahm. Daher wußte er, wo sie wohnte. Vielleicht hatte er schon vorher daran gedacht, sie zu ermorden, oder vielleicht kam ihm der Gedanke erst, als er ihre Stimme hörte und erkannte, wer sie war. Wir würden es nie erfahren.
    Wir wußten, daß alle fünf Frauen irgendwann einmal die 911 gewählt hatten. Ich hatte nie die 911 gewählt, bei mir war es nicht nötig. Meine Nummer und meine Adresse standen im Telefonbuch, weil die Medical Examiners mich auch außerhalb meiner Dienstzeit erreichen können mußten. Außerdem hatte ich bei mehreren Gelegenheiten in den letzten Wochen mit verschiedenen Funkbeamten gesprochen, wenn ich auf der Suche nach Marino war. Einer von ihnen könnte McCorkle gewesen sein. Ich würde es nie erfahren.
    "Ihr Bild war in den Zeitungen und im Fernsehen", fuhr Marino fort. "Sie haben alle seine Morde bearbeitet, er hat sich gefragt, was Sie wissen. Er hat über Sie nachgedacht. Ich, ich habe mir Sorgen gemacht. Und dann dieser ganze Mist von seiner Stoffwechselkrankheit und von Ihrem Büro, das irgend etwas über ihn weiß." Er lief auf und ab, während er redete. "Da wird ihm natürlich heiß. Jetzt wird's persönlich. Die hochnäsige Doktorenlady hier beleidigt womöglich seine Intelligenz, seine Männlichkeit." Die Anrufe, die ich spätnachts bekam -
    "Das löste einen Mechanismus bei ihm aus. Er mag es nicht, daß er von irgend jemandem wie ein Idiot behandelt wird. Er denkt, das Weibsbild glaubt, sie sei so klug, klüger als ich. Der werde ich's zeigen. Die knöpfe ich mir vor."
    Ich hatte ein Sweatshirt unter meinem Kittel an. Beides war geschlossen bis zum Hals. Ich fror trotzdem. Die letzten beiden Nächte hatte ich bei Lucy im Zimmer geschlafen. Ich wollte mein Schlafzimmer neu einrichten. Ich überlegte, ob ich mein Haus verkaufen sollte.
    "Ich schätze also, dieser Zeitungsbericht damals, in dem das ganze Zeug über ihn stand, hat mächtig an seinem Selbstbewußtsein gerüttelt. Benton sagte, es sei ein Geschenk des Himmels. Daß er vielleicht leichtsinnig werden würde oder so was. Ich war ziemlich sauer. Erinnern Sie sich?"
    Ich nickte andeutungsweise.
    "Wollen Sie wissen, warum ich so sauer war?"
    Ich sah ihn nur an. Er war wie ein Kind. Er war stolz auf sich. Ich sollte ihn loben, begeistert sein, weil er einen Mann aus zehn Schritten Entfernung erschossen, ihn in meinem Schlafzimmer umgebracht hatte. Der Kerl hatte ein Klappmesser. Sonst nichts. Was wollte er damit machen, es werfen?
    "Nun, ich werde es Ihnen sagen. Zum einen hatte ich vor einiger Zeit einen kleinen Tip erhalten."
    "Einen Tip?" Ich richtete meinen Blick auf ihn. "Was für einen Tip?"
    "Der Goldjunge Boltz", antwortete er sachlich und schnippte die Asche von der Zigarette. "Zufälligerweise war er so gnädig, noch etwas Gescheites von sich zu geben, bevor er sich aus der Stadt verzogen hat. Er sagte, er mache sich Sorgen um Sie ... "
    "Um mich?" platzte ich heraus.
    "Er sagte, er wäre an einem Abend noch bei Ihnen gewesen, und da war dieses seltsame Auto. Es fuhr die Auffahrt hoch, machte dann die Lichter aus und raste davon. Er hatte Angst, daß Sie beobachtet würden, daß es vielleicht der
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