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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)
Autoren: Susann Pásztor
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ihrer schlechten Übersichtlichkeit noch eine weitere Eigenschaft: Sie wiederholt sich gern. Mein Großvater hatte fünf Kinder von lauter verschiedenen Frauen, und mein Vater, der im Gegensatz zu uns seine Vorfahren bis ins Mittelalter zurückverfolgen kann und überdies nicht mit Joschi verwandt ist, setzte einfach dessen Tradition fort und zeugte sein zweites Kind mit Nora, seiner alten Jugendliebe, die eigentlich nur mal kurz vorbeischauen wollte. Wenigstens musste ich nicht vierzehn Jahre warten, bis ich meinen Bruder Paul kennenlernte, und ich liebte ihn von der ersten Sekunde an. Pauls Existenz machte es mir allerdings auch unmöglich, meinen Vater weiterzuhassen, was ohnehin niemand von mir verlangt hatte, schon gar nicht meine Mutter. Aber vielleicht war es auch genau das gewesen – ihre fast unerträgliche Fairness, mit der sie ihren eigenen Kummer von meinem zu trennen versuchte –, was mich veranlasst hatte, ihn erst mal freiwillig zu hassen, probehalber sozusagen. Es bekam mir nicht gut, und als ich dann Paul zum ersten Mal auf dem Arm hatte, hörte dieses Gefühl, dass etwas in meinem Leben entsetzlich falsch gelaufen war, schlagartig auf.
    Mein Vater und Nora waren schon lange kein Liebespaar mehr und sind, soviel ich weiß, auch nie ein richtiges gewesen. Trotzdem gelang es mir nicht, meine Mutter für den Gedanken zu begeistern, mein Vater könnte ja wieder bei uns einziehen. Sie sagte, sie hätte keine Lust, das Leben ihrer eigenen Mutter nachzustellen, die es trotz siebzehn langer Jahre an Joschis Seite nie geschafft hatte, ihm Hannahs Existenz zu verzeihen. Wobei es ihr selbst nicht ums Verzeihen ginge, wie meine Mutter betonte, sondern um ihren Entschluss, aus dem Hamsterrad dieser elenden Familiengeschichte auszusteigen, in der pausenlos Frauen geschwängert und Lügen erzählt würden. Mich überraschte, dass sie den Begriff »aus dem Hamsterrad aussteigen« benutzte, denn meine Mutter hatte als Kind einen Hamster besessen, der den Namen Roger trug und für seine spektakulären Ausbrüche berühmt war. Roger pflegte nachts die Watte aus seinem Schlafnest zu zerren und unter das Laufrad zu stopfen, sodass er außen an dem blockierten Rad hochklettern und durch eine Lücke im Käfigdach, das meine nachlässige Mutter selten richtig zumachte, entkommen konnte. Der gähnend leere Käfig am Morgen mit seinem manipulierten Laufrad sei ein Manifest des triumphierenden Kleintiers gewesen, erzählte meine Mutter, aber auch ein Zeugnis seiner Grenzdebilität, denn direkt neben dem Käfig stand eine große Vorratstüte mit Hamsterfutter, in die sich der Idiot jedes Mal gleich nach seinem Befreiungsakt versenkte. So fand man ihn dann auch morgens nahezu bewegungsunfähig in der Futtertüte, die Backentaschen so prall wie Autoreifen, und man konnte die Umrisse der einzelnen Mais- und Sonnenblumenkörner von außen deutlich erkennen. Er habe sich wahrscheinlich jedes Mal wieder fürs Fressen statt für die Freiheit entschieden, interpretierte meine Mutter sein Verhalten, aber ich fand immer, dass diese Hamstergeschichte eine Metapher für etwas viel Größeres war, zum Beispiel dass man das Paradies auch in einer Tüte finden konnte, solange es nur schwierig genug war, dorthin zu gelangen.
    Ich kehrte zurück zum Sofa. Hannah hatte offenbar doch noch eine Sondergenehmigung erwirkt und las mit verklärtem Lächeln eine Textnachricht auf ihrem Handy. »Musst du noch mal rauf ins Zimmer?«, fragte meine Mutter und hob dabei eine Augenbraue, und ich antwortete ihr in Gedankensprache, es war Papa, und er denkt an uns, aber in normaler Lautstärke sagte ich »Nein, ich habe alles, was ich brauche«, und das war in diesem Moment noch nicht einmal gelogen.
    »Du Glückliche«, sagte Hannah und schaltete ihr Telefon wieder aus.
    Nur wenige Minuten nach mir tauchte Gabor in einem roten Hemd auf, das sehr altmodisch wirkte und mich an einen tibetischen Mönch erinnerte, und er schien plötzlich wild entschlossen, aus diesem Abend und vielleicht sogar aus dem ganzen Wochenende das Beste zu machen, was rauszuholen war. Er reichte Hannah galant seine Rechte, um ihr aus dem Ledersofa herauszuhelfen, und danach drückte er kurz meinen Arm, bevor er meiner Mutter sagte, wie froh er darüber sei, dass sie ihre Punk-Phase hinter sich gelassen und stattdessen eine wundervolle Tochter großgezogen hätte, wofür er eigentlich wieder einen, wenn nicht sogar zwei Bonuspunkte kriegen musste.
    »Anarchie und Punkrandale gegen jede
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