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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)
Autoren: Susann Pásztor
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Mutter hat, und die hat keiner von uns. Außerdem hab ich keine Ahnung vom jüdischen Glauben. Warum sollte ich ein Jude sein?«
    Warum er »angeblich« sagte, verstand ich nicht. Das mit der jüdischen Mutter wusste ich schon.
    »Ich bin kein Jude«, wiederholte Gabor mit Nachdruck. »Das war alles nur Zufall. Es bedeutet nichts, verstehst du?«
    »Mir bedeutet es aber etwas«, sagte ich. »Ich bin froh, dass ich irgendwie auch dazugehöre.«
    »Ja, Lily«, antwortete Gabor. »Aber irgendwie dazugehören ist nur in Ordnung, wenn du’s nicht wirklich nötig hast, weil du schon woanders zuhause bist. Wenn du wirklich dazugehören willst, kommst du mit deinem ›irgendwie‹ nicht mal am Türsteher vorbei. Die lassen nur rein, wer eine echte Eintrittskarte hat.«
    »Das hört sich an, als würdest du dich mit Türstehern gut auskennen«, sagte ich aufs Geratewohl.
    Gabor lachte. Es war ein kurzes, meckerndes Lachen, über das er selbst etwas erstaunt schien, denn er lauschte ihm eine Weile nach, bevor er antwortete. »Und wie ich mich damit auskenne. Wenn ich nicht an den Türstehern gescheitert bin, dann spätestens an den Türen.«
    Ich stellte mir vor, wie Gabor an der Tür einer Synagoge rüttelte und zerrte und sie nicht aufbekam, aber dann wurde mir klar, dass er wahrscheinlich von etwas ganz anderem redete als vom Jüdischsein.
    »Und wo gehörst du hin?«, fragte ich.
    »Ich?«, sagte Gabor. »Ich gehöre nirgendwohin. Und du, du willst ein Referat über Buchenwald schreiben, habe ich gehört?«
    Diese Art auszuweichen kenne ich gut, das passiert immer, wenn den Leuten plötzlich wieder einfällt, dass sie mit einer Sechzehnjährigen reden. Sie wechseln das Thema oder stellen kurz mal klar, wer hier der Erwachsene ist und wer nicht, und von da an läuft das Gespräch auf dem Kinderkanal.
    »Hat dir das Hannah erzählt?«, fragte ich, um Zeit zu gewinnen.
    »Ja«, sagte Gabor. »Ehrlich gesagt, ich wusste bis dahin gar nicht, dass es dich gibt. Das ist schon komisch, was?«
    Ich fand es eigentlich nicht besonders komisch, sondern eher typisch für unsere Familie. Und von wem hätte er es auch erfahren sollen? »Warum habt ihr eigentlich überhaupt keinen Kontakt, du und Hannah und Mami?«
    Gabor nahm sich eine neue Zigarette. »Ich nehme mal an, die beiden haben kein großes Interesse an mir.«
    »Und du?«
    »Ach weißt du, irgendwann gab’s einfach keinen Grund mehr, mich zu melden«, antwortete Gabor, und wieder kam es mir so vor, als wäre er selbst überrascht von dem, was er sagte. »Ich hätte nichts Neues zu berichten gehabt.« Er malte mit seiner Zigarettenspitze Linien in die Asche auf dem Boden des Aschenbechers. Es wurde eine Blume. »Außerdem bin ich sowieso kein Familienmensch.« Er mischte mit der Zigarette die Asche auf, dass es nur so staubte, und die Blume war weg.
    »Das machen die tibetischen Mönche auch«, sagte ich.
    »Sie rauchen?«, fragte Gabor irritiert.
    »Sie machen Mandalas aus buntem Sand«, sagte ich, und weil Gabor mich immer noch verständnislos ansah, fügte ich hinzu: »Mandalas sind symmetrische Bilder. Alles ist um einen Mittelpunkt herum aufgebaut. Die Mönche sitzen oft wochen- und monatelang an so einem Sand-Mandala. Und wenn sie fertig sind, machen sie es sofort wieder kaputt. Oder sie kippen es in den Fluss. Wuusch.«
    »Wuusch«, wiederholte Gabor. »Und warum?«
    »Weil alles vergänglich ist. Und auch das Zerstören ist ein heiliger Akt.«
    »Das Zerstören als heiliger Akt«, sagte Gabor langsam. »Das gefällt mir.«
    »Was war denn eigentlich mit dem Bären los, den du mir mitgebracht hast?«, fragte ich.
    »Auch ein heiliger Akt«, sagte Gabor. »Der Bär ist so was wie ein Kollege von mir. Ich arbeite in einem Labor, das Kinderspielzeug auf seine Belastbarkeit prüft. So eine Art TÜV für Kuscheltiere.«
    Ich muss zugeben, ich war erleichtert, obwohl ich mir auch selber hätte denken können, dass er irgendwas mit Spielzeug machte. »Cool. Und ihr macht da alle möglichen Versuche, und die, die nicht kaputtgehen, dürfen verkauft werden?«
    »So ungefähr«, sagte Gabor und drückte seine Zigarette aus. »Der Bär, den ich dir mitgebracht habe, ist natürlich nicht getestet worden. Die Jungs sehen nämlich hinterher ganz schön fertig aus, auch wenn sie bestanden haben. Aber er kommt aus einer Familie, die das Zertifikat kriegt. Gute Gene. Ein echter Held.«
    Mir gefiel die Art, wie er über den Bären sprach, und ich dachte kurz darüber nach, ihm einen
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