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Ein Engel an Güte (German Edition)

Ein Engel an Güte (German Edition)

Titel: Ein Engel an Güte (German Edition)
Autoren: Ippolito Nievo
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überkam ihn die Versuchung, eine Gondel zu nehmen, doch nach einem Griff in die Tasche der Weste, die ihm bis zu den Knien reichte, beschloss er, zu Fuß zur Piazza 9 weiterzugehen.
    Nachdem sie ihrem Vater mit Blicken bis zur nächsten Straßenecke gefolgt war, kehrte Morosina ins Innere des Gebäudes zurück, wo Celio noch immer an der Schwelle zum Sprechsaal stand:« Stimmt es denn», fragte sie, den Kopf senkend,« dass Sie vor August nicht nach Asolo hinaufkommen werden?»
    Doch es war ihr nicht vergönnt, eine Antwort zu vernehmen, da die Mutter Oberin sie in der Zwischenzeit schon vier- oder fünfmal beim Namen gerufen hatte und der Ruf sich, während sie die erwähnte Frage stellte, so laut und gebieterisch wiederholte, dass sie sich notgedrungen von Celio losmachen und in den Kreis treten musste, wo zwischen fünf oder sechs Veteraninnen der eleganten Welt die Äbtissin saß.«Morosina Valiner! Signora Valiner, sage ich!»
    « Hier bin ich, ehrwürdige Mutter», erwiderte diese mit einer ehrerbietigen Verbeugung.
    « Also, ich habe wohl zwanzigmal schon nach Euch gerufen!», fuhr die Äbtissin fort.«Es sieht so aus, als wärt Ihr hier im Kloster die Prinzessin, und dabei kann ich Euch versichern, wenn da Lumpen in der Garderobe hängen, so sind es bestimmt die Euren!»
    Morosina errötete übers ganze Gesicht.
    « Keine Angst, mein Schatz», versetzte eine der Damen.«Seine Exzellenz Formiani wird in seinem Testament für alles gesorgt haben; er war Eurem Vater ja so zärtlich zugetan...»
    Allgemeines Gelächter folgte auf die sarkastische Bemerkung der Matrone, das Rot wich aus Morosinas Gesicht, und ohne zu wissen warum, wurde sie bleich wie eine Leinwand. Zum Glück war Signor Terni in ihrer Nähe, als sie solche Schmach erdulden musste – er trat in den Kreis, und zu der Dame gewandt, die gesprochen hatte, sagte er halb scherzhaft, halb spöttisch:«Teure Gräfin, halten wir uns doch an die neuen Geschichten und lassen die alten ruhen ...! Wozu sich in der Vergangenheit verlieren, solange man noch einen Teint hat, auf dem dieses Diamanthalsband so vorzüglich zur Geltung kommt?»
    Alle im Kreis hätten auf Anhieb eine pikante Geschichte über dieses Schmuckstück erzählen können, und erneutes Gelächter folgte auf Celios mysteriöse Anspielung. Auch die Unglückliche, der sie galt, lachte darüber, schleuderte dem Cavaliere aber gleichzeitig einen Basiliskenblick zu.
    « Nun, wir werden uns doch nicht mit Sticheleien duellieren wollen!», griff die Äbtissin ein.« Seien Sie so gut, Signorina Morosina, setzen Sie sich ans Cembalo und spielen Sie diesen erlauchten Damen etwas vor, die die Güte haben werden, Ihnen zu lauschen.»
    Morosina sah Celio mit dem Ausdruck eines Engels an; dann suchte sie mit dem gleichen engelsguten Blick die Augen der Äbtissin, und auch als sie diese mürrisch und abweisend fand, änderte das an ihrem Ausdruck nichts, nur schlug sie zum Zeichen des Gehorsams die Augen nieder. Dann setzte sie sich ans Cembalo und stimmte eine so wehmütige Weise an, dass mit dem ersten Ton das Gelächter und die Gespräche der versammelten Gesellschaft wie durch Zauberschlag verstummten und sogar auf den bemalten Gesichtern einiger alter Schachteln ein Anflug von Rührung sichtbar wurde. Aber Morosina achtete nicht darauf, die seltenen Blicke, die sie über den Rand des Cembalos hinaus schweifen ließ, suchten keinen Beifall, sondern flogen alle an das Ende des Saals, wohin Celio sich zurückgezogen hatte und wo er mehr als alle anderen von dieser unerhört neuen, schlichten, erhabenen Harmonie ergriffen und überrascht schien. Und tatsächlich hatte Morosina diese Musik nicht beim Musiklehrer des Klosters erlernt, sondern schöpfte sie unmittelbar aus ihrem Herzen; mit einer durch lange Übung erworbenen Meisterschaft übersetzte sie dessen innigste Regungen in Töne und flößte so den Seelen ihrer Zuhörer dieses unerhörte Entzücken ein.
    Die Seelen der guten Venezianer – im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts hatten sie sich wahrhaft sehr verleiblicht! Der Wohlstand hatte zu Müßiggang und Leichtsinn geführt und im gleichen Maße zu Sittenlosigkeit, die wie eine Seuche um sich griff; Schändliches, was sonst in der Familie blieb, war nun in aller Munde, und auch das Gefühl für Anstand blieb von dieser allgemeinen Umwälzung der moralischen Ordnung nicht verschont. Die Fabel, welche die Welt mit einer Schaubühne vergleicht – hier in dieser finstren Kloake wurde sie
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