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Ein Engel an Güte (German Edition)

Ein Engel an Güte (German Edition)

Titel: Ein Engel an Güte (German Edition)
Autoren: Ippolito Nievo
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Wirklichkeit, alles spielte sich vor den Augen aller ab, Damen und Herren staffierten sich ungeniert mit falschem Pomp und schändlichem Flitter aller Art aus wie mit eigenen Gewändern und trugen sie in Theaterlogen oder in den marmornen Wandelgängen der Prokurazien stolz zur Schau. Trotzdem lebten inmitten von so viel Verderbtheit zwei Eigenschaften der einstigen venezianischen Rechtschaffenheit fort, und das waren Schlagfertigkeit des Geistes und Güte des Herzens. Erstere jedoch, edler Vorzug eines Menschen nur, wenn von wahrer Tugend und gesundem Urteilsvermögen getragen, war zu verborgenem Opportunismus geworden; die zweite, ganz in die engen Schranken der privaten Sphäre verwiesen, war leicht zu verwechseln mit der philisterhaften Sorge um das eigene Wohlleben; sodass die einzige Tugend, von der eine zukünftige Erneuerung hätte ausgehen können, durch eine wundersame Verkehrung der Begriffe weder zu Stolz noch zu Achtung Anlass geben konnte. Indem man immer so weitermachte (und anders war es gar nicht möglich, wo doch die törichte Untätigkeit der Regierung jedes Bedürfnis nach Bildung und bürgerlichen Grundsätzen zunichte gemacht hatte), musste die Zersetzung der Organe früher oder später den Lebensnerv der Republik selbst erfassen; und das rührte nicht von Unmoral im Staatswesen her oder von Ehrlosigkeit der politischen Prinzipien – die waren eher zu schwach ausgebildet als im eigentlichen Sinne schlecht –, sondern von einer weitreichenden Übereinstimmung der Laster bei Regierenden und Regierten, weswegen sich jede offene Gesetzesänderung verbot. Die Generationen folgten aufeinander, eine schlechter als die andere, und so war die Signoria 10 von höchster Tugendhaftigkeit zu gröbster Schamlosigkeit herabgesunken, von großartigster Prachtentfaltung zu lächerlicher, pompöser Armut. In dieser Masse von vertrottelten Geistern und verweichlichten Gemütern vermochte auch das Licht der Tugend und Gerechtigkeit sich nicht Bahn zu brechen, welches allein imstande ist, die Staaten zu blühendem Leben oder in einen ruhmreichen Tod zu führen. Dass unter diesen Bedingungen jeder ausschließlich auf sein Vergnügen erpicht war, ist nur zu natürlich; angesichts der Erbärmlichkeit der Zeiten war jedoch von Besonnenheit und ruhiger Erörterung auch dringend abzuraten, da dies allzu leicht zur Quelle lästiger Gewissenbisse werden konnte, und so ließ man sich nur zu solchen Freuden verleiten, in denen die Vernunft zum Schweigen gebracht wird oder sich selbst verleugnet, um die Sinne anzustacheln. Verpönt war daher jede Form von Mäßigung; verloren der Sinn für das Schöne, der sich ja nur in harmonisch gebildeten Seelen entfalten kann; sämtliche Künste verdorben durch die Notwendigkeit, sich einem aufs Materielle gerichteten Geschmack anzupassen, possenhaft, wo sie gefallen, manieriert, wo sie schmeicheln wollten; nichtig die Wissenschaften, oder schlimmer noch, zur Scharlatanerie verkommen; Ämter, Titel, Würden käuflich, denn Gold ist das Mittel zur Befriedigung jeder rohen Lust; Erziehung ein Hohn; die öffentlich bestallten Lehrer entweder feiste Günstlinge oder schwülstige Phrasendrescher; die Dienerschaft servile Weggefährten oder wissende Kumpane; die Gesellschaft insgesamt schließlich ein Gemisch aus Hochmut, Verderbtheit, unsäglicher Einfalt, feiger Heuchelei und widerwärtiger Speichelleckerei. Dass in dieser Gesellschaft die Frauen regierten und welche Art von Regime sie führten, das wissen wir aus dem Munde älterer Leute, die, sofern sie diesem Haufen Unrat mit einem Rest von Verstand entronnen und aus dem nach und nach hereinbrechenden Unheil gefestigt hervorgegangen waren, uns sogar um unsere triste, schwere Jugend beneideten.
    Aber nicht das war die Wurzel des Übels, noch war es ein Übel an sich, zeigt doch die Geschichte, dass die Frauenverehrung einst ein Moment der Zivilisation war; nur der hohe Stellenwert, den die Männer bei derart verlotterten Sitten den Frauen beimaßen, verleitete diese, sich ihre Vorherrschaft unter Aufbietung ihrer unwiderstehlichsten Reize zu sichern. 11
    Aus einem solchem Bordell musste natürlich längst jene süße Schwermut gewichen sein, welche das Böse beklagt und sich ganz auf das künftige Gute richtet; so konnte Morosina auch mit den wehmütigen Empfindungen, die sie dem Cembalo anvertraute, jene Herzen nicht rühren, die vom Lärm der Feste betäubt oder in der Flut der Vergnügungen sich selbst abhanden gekommen waren; denn die
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