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Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Titel: Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
Autoren: Frode Grytten
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die Idee, den Benzintank zu füllen. Harry und die anderen in der Werkstatt hatten Zugang zu Benzin, das für die Nutzfahrzeuge der Fabrik verwendet wurde. In jeder Schicht füllten sie einen Schluck Benzin in den Tank. Alle wussten Bescheid, aber keiner sagte zur Halspastille ein Wort. Der Kerl fuhr glücklich zur Arbeit und zurück, niemals musste er auch nur einen Tropfen Benzin tanken. Das ganze Jahr über fuhr er mit subventioniertem Treibstoff des Schmelzwerks Odda. Nach zweieinhalb Jahren sprach Harry der Halspastille gegenüber das Thema an. Alle hatten sich in der Kantine versammelt. Harry fragte die Halspastille, ob er mit dem Moped zufrieden sei. Die Halspastille saß vor seiner Stulle und konnte bestätigen, dass das Moped top war, absolut top, er hatte nichts, aber auch gar nichts an dem Moped auszusetzen. Harry sah sich in der Kantine um, räusperte sich mehrmals und stellte die Frage, die er schon lange hatte stellen wollen: Sag mal, Halspastille, eins würde mich echt interessieren, dein Moped braucht ja verflucht wenig Benzin ?
    Angesichts der neuen Herausforderungen, denen die Angestellten in den Achtzigern ausgesetzt waren, kamen Arbeiter vom Schlage der Halspastille nicht mehr mit. Immer wieder bekamen wir zu hören, die energieintensive Industrie Norwegens sei ein Verlustgeschäft, es sei eine gigantische Energieverschwendung, die so bald wie möglich abgewickelt werden müsse. Norwegen konnte nicht unentwegt Subventionen in eine Schmelzindustrie stecken, die nicht in der Lage war, den marktüblichen Preis für den Strom zu zahlen. Diese Argumente wurden uns von Trygve Hegnar aus Oslo, von den Professoren der Norwegischen Handelshochschule in Bergen und von den Chefs der Industrie- und Handwerkskammer in Majorstua um die Ohren gehauen. Von Direktor Hermannsen vom Schmelzwerk Odda bekamen wir zu hören, wir müssten den Personalbestand halbieren, wenn wir in der neuen Zeit überleben wollten, wir müssten den Einsatz menschlicher Ressourcen optimieren. Hermannsen sprach von Prozessoptimierung, Kostenanpassung und neuen Steuerungsindikatoren.
    Die Halspastille gehörte zu den Ersten, die gehen mussten. Solche Angestellten waren abgestorbenes Fleisch und mussten entfernt werden. Besonders bedauerlich war, dass die Halspastille eine phantastische Singstimme hatte. Wir konnten den Kerl natürlich nicht der Stimme wegen im Job halten. Wir waren Schmelzer, keine Opernsänger. Aber wenn man nur die Stimme nahm, hätte die Halspastille gut und gern Opernsänger werden können, die Stimme bescherte einem Gänsehaut. Jedes Jahr an Silvester gab die Halspastille für die Werksangestellten ein Konzert. Begleitet von Ingenieur Rosseland trug er Weihnachtslieder und Schnulzen aus West Side Story , Figaros Hochzeit und La Bohème vor. Es war einer der Höhepunkte des Jahres, das Silvesterkonzert fand im Zentralbad statt, weil die Akustik dort perfekt war. Die Leute kamen von der Packstelle und dem Kalkofen herüber, von der Laugerei und der Verladestation, vom Importkai und vom Ofen 3, von der PVC-Halle A und der PVC-Halle B. Die Halspastille wollte keiner verpassen. Wir zündeten Kerzen an und aßen Kekse. Wir standen dichtgedrängt im Zentralbad, wo die Halspastille sang, dass es einem die Tränen in die Augen trieb, er konnte einen von hier bis nach Hause singen, es war unglaublich, wie der Kerl singen konnte, wir lehnten an der Wand und nahmen die Töne in uns auf. Die Halspastille gab auch nach der Kündigung noch Silvesterkonzerte. An jenem schicksalsschwangeren Sonntag waren drei Konzerte hintereinander vorgesehen, so groß war das Interesse. Am Vormittag hatte sich die Halspastille daheim in Hovden auf das Konzert vorbereitet. Er ging noch einmal das Programm durch, sah sich die Texte an, holte den Sonntagsanzug aus dem Schrank, bügelte in der Küche sein bestes Hemd. Er stand vor dem Spiegel und machte alle Aufwärmübungen, die ein seriöser Opernsänger macht. Dann stieg er aufs Moped, setzte den Helm auf und begann zu singen. Er sang immer, wenn er durch Odda fuhr. Hier kommt die Halspastille, riefen die Leute, wenn sie das Moped und die Stimme der Halspastille hörten.
    Tonight
    Good night, good night
    Sleep well and when you dream
    Dream of me
    Tonight
    Die Halspastille fährt singend über Eidesmoen, knattert am Gymnasium und am Altenwohnheim vorbei, passiert den Parkplatz und biegt hinunter zur Kreuzung bei Monso, er sieht das Motorrad nicht, das auf der Hauptstraße von rechts kommt, die
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