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Ein dunkler Ort

Ein dunkler Ort

Titel: Ein dunkler Ort
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Normalerweise kümmern mich solche Sachen nicht, aber es ist noch so leer da oben. Morgen, wenn die anderen Mädchen kommen und jede Menge Leute da sind, spielt das bestimmt keine Rolle mehr.«
    Einen Moment lang herrschte Schweigen. Madame Duret führte ihre Serviette zum Mund und tupfte sich die Lippen ab. Professor Farley nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas. Kit wandte sich an Jules, der den Kopf über den Teller gebeugt hatte.
    »Morgen wird es anders sein«, sagte sie, »wenn erst alle da sind.«
    »Natürlich«, sagte Jules. »Dann wirkt alles anders.« Er hob den Kopf, schaute ihr jedoch nicht in die Augen, und irgendwie hatte seine Miene etwas seltsam Verschlossenes an sich.
    In dieser Nacht träumte sie, dass der Baldachin sich senkte.
    Gleich zwei Mal wiederholte sich dieser Traum. Sachte drückte sich die Luft über ihr zusammen, als der dunkelrote Samt sich in einer großen wabernden Blase senkte und auf ihr Gesicht legte.
    Als sie das erste Mal zitternd aufwachte, tastete sie hektisch nach der Nachttischlampe. Sie drückte den Knopf auf dem Sockel und sofort breitete sich ein schwaches gelbliches Licht im Raum aus.
    Kit setzte sich auf und schaute sich um. Alles war absolut ordentlich, wenn man von ihren Kleidern absah, die sie auf einen Stuhl geworfen hatte und den beiden Koffern, die, noch nicht ganz ausgepackt, aufgeklappt vor dem Schrank standen.
    Der Baldachin war hoch über ihr, genau da, wo er sein sollte.
    Kit machte das Licht aus und legte sich wieder aufs Kissen zurück, nach einer Weile schlief sie ein. Als sie noch einmal hochschreckte, aus demselben Traum, schaltete sie die Lampe wieder ein und ließ sie den Rest der Nacht brennen.

VIER
    Am nächsten Morgen lachte Kit über ihre nächtliche Albernheit. Strahlender Sonnenschein strömte durchs Fenster, goldene Kleckse sprenkelten den Teppich mit seinen prächtigen Farben und das polierte Holz schimmerte, sodass der ganze Raum vor Schönheit zu strahlen schien. Der Baldachin war nichts weiter als ein Baldachin, eine königliche Verzierung für ein Bett, das zweifellos zu den elegantesten Betten der Welt gezählt werden konnte.
    Kit schwang die Beine über die Bettkante und berührte den Teppich mit den nackten Füßen. Er fühlte sich dick und luxuriös an und sie ließ die Zehen tief darin einsinken, als sie quer durch den Raum zum Fenster ging. Wie hatte sie es nur fertiggebracht, gestern nicht aus dem Fenster zu gucken, fragte sie sich, der Ausblick war so einzigartig, dass ihr Herz Freudensprünge machte.
    Unter ihr lag ein Garten, in dem noch letzte Sommerblumen blühten, ein schmaler Kiesweg schlängelte sich hindurch, der sich teilte, bald in diese, bald in jene Richtung wand und sich wieder mit sich selbst vereinte … wie in einem Labyrinth. Dahinter lag eine Rasenfläche, die zu einem See hinunter führte. Groß war der See nicht, aber in der Morgensonne schimmerte er wie Silber. Dahinter ragten die Wälder auf, schützend bauten sie sich am gegenüberliegenden Ufer auf und bildeten einen Kreis, der Blackwood nach allen Seiten begrenzte.
    Über all dem wölbte sich der klare Himmel im schönsten Blau. Die Luft roch so frisch und süß. Von dieser Seite des Hauses konnte Kit die Auffahrt nicht sehen. Aber sie stellte sich vor, dass die Autos Schlange standen und gehetzte Väter mit dem Ausladen der Koffer alle Hände voll zu tun hatten. Jetzt würden bald andere Mädchen lachend und redend durch die Gänge laufen, über ihre alten Schulen und ihr Zuhause erzählen und neugierig von einem Zimmer zum anderen laufen.
    Bin ich froh, dass ich früher gekommen bin , dachte Kit beim Anziehen. Das hat mir eine Art Vorsprung verschafft . Sie machte ihr Bett und packte ihre Koffer aus, hängte Sachen in den Schrank und verstaute Socken und Unterwäsche in den Kommodenschubladen. Ihre Fotos hatte sie in den zweiten Koffer gepackt. Auf einem war sie mit Tracy zu sehen, es war vor drei Jahren an Tracys dreizehntem Geburtstag aufgenommen worden. Sie kicherten und posierten verlegen Arm in Arm hinter einem Mega-Schokoladenkuchen.
    Auf dem anderen Bild waren ihre Eltern auf ihrer Hochzeitsreise. Ihre Mutter hatte es für Kit kurz nach dem Tod ihres Vaters vergrößern und rahmen lassen.
    »Du sollst dich immer an ihn erinnern«, hatte sie gesagt. Als ob ich ihn je vergessen könnte , dachte Kit jetzt, als sie das Foto betrachtete. Ihr Vater lachte sie an – und das sture Kinn, das ihrem eigenen so ähnlich war, gab dem noch jungenhaft runden
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