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Ein dunkler Gesang

Ein dunkler Gesang

Titel: Ein dunkler Gesang
Autoren: Phil Rickman
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immer sehr seltsam. Man musste nicht lange warten, bis wieder ein Haus verkauft wurde. Es war kein sehr fröhlicher Ort, als ich hierhergekommen bin. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die Leute aufzuheitern. Mir erschien das wie eine … eine Berufung, könnte man sagen. Ich hatte den Eindruck, meinen Großvater an der Seite zu haben … Ich weiß, wie dumm das klingt.»
    «Nicht für mich.»
    «Ich hatte das Gefühl, er unterstützt mich. Und als dann Mr. Loste kam und seinen Chor gegründet hat …»
    «Das war für Sie eine gute Art, Elgars Musik lebendig zu erhalten.»
    «Ich habe etwas aus dem Treuhandvermögen gespendet. Für den Chor und damit Loste auch einmal professionelle Musiker engagieren konnte.»
    «Sie haben Tim Geld gegeben?»
    «Anonym. Über meinen Anwalt. Ich wollte nicht, dass sie wissen, woher das Geld kommt. Und schon gar nicht diese Frau. Ich habe gehört … stimmt das?»
    «Ich fürchte ja.»
    «Gott im Himmel», sagte Mrs. Aird. «Was geht hier nur vor, Mrs. Watkins?»
    Merrily erklärte ihr, ohne Namen zu nennen, dass die Verantwortlichen keine Bedrohung mehr darstellten.
    «Sobald ich das Geld überwiesen hatte», sagte Mrs. Aird, «war mir irgendwie klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Aber ich wusste nicht, welchen Fehler. Ich hatte schreckliche Träume. Einmal …» Sie verschränkte die Arme vor der Brust. «Einmal habe ich ihn gesehen.» Sie sah zu ihm auf.
«Ihn.»
    «Den Engel?»
    «Ich habe mir den Sonnenuntergang angeschaut, und kurz nachdem die Sonne untergegangen war, habe ich ihn im Garten gesehen. Glauben Sie bloß nicht, ich wäre verrückt.»
    «Nein.»
    «Und am nächsten Tag ist der Laster an die Kirchenmauer gefahren. Das war vermutlich Zufall, aber man denkt in so einem Moment natürlich etwas anderes.»
    «Haben Sie ihn noch einmal gesehen?»
    «Nein.»
    «Und das Licht, das der Lastwagenfahrer gesehen haben will?»
    «Er dachte, es wäre die Sonne gewesen, aber dafür war es zu früh. Vielleicht war es ja so, wie der Polizeibeamte gesagt hat, und der Fahrer war einfach nur übermüdet. Aber ich musste an diese Lichterscheinung denken, die mein Großvater anscheinend gesehen hat. Und dann Mr. Loste … und dann diese Sache mit Hannah. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Es wurde einfach alles zu viel für mich …» Mrs. Aird ließ ihre Arme fallen und sah Merrily an. «Waren das alles Lügen? Wissen Sie es?»
    «Nein», sagte Merrily. «Ich weiß es nicht. Und manchmal erfährt man es nie.»
    Sie sah auf. Irgendetwas war passiert.
    Sie sah einen schwachen Schimmer in einem der Kirchenfenster, als würde nur noch eine einzige Kerze brennen. Und auch der Chor hatte aufgehört zu singen. Merrily stand auf.
    Sie hörte, wie die Kirchentür geöffnet wurde, und sah, dass Lol herauskam. Sie ging zu ihm. Er wirkte angespannt.
    «Der Dirigent … das war dieser Typ, Dan. Er ist im letzten Moment für jemanden eingesprungen. Und er … er hat den Chor aufhören lassen. Er hat gesagt, auf einmal musste er sich hinsetzen. Er hat plötzlich unheimlich gefroren … und er fühlte sich ganz schwach. Und dann ist er wieder aufgestanden und hat die Kerzen ausgeblasen. Es war … sehr seltsam. Wer ist das?»
    Merrily drehte sich um und sah Mrs. Aird Richtung Straße davongehen.
    Zitternd vor Angst zog sie ihr Handy heraus und rief das Krankenhaus in Worcester an, in das Tim Loste eingeliefert worden war.

64 Helium
    Es war beinahe unheimlich, Elgar so zu sehen.
    In seinem gestreiften Jackett und mit dem Hut, dessen Krempe an beiden Seiten fesch nach oben gebogen war.
    Da verbrachte man die ganze Woche damit, ihn in den Malverns zu suchen, und hier war er: in Ledwardine.
    Das Beinahelächeln, das auf seinem Gesicht lag, war zugleich mutwillig und reuevoll. Und der Hauptunterschied zwischen Watkins und Elgar bestand zu dieser Zeit ihres Lebens darin, dass Elgar seine größten Werke schon geschaffen hatte, während Watkins seine wichtigste Leistung gerade erst in Angriff nahm.
    «Immer wenn ich denke, ich erreiche endlich etwas», Jane ließ den Kopf in die Hände sinken, «kommt etwas dazwischen. Es ist, als wäre in mir etwas, etwas Teuflisches.»
    «Hör damit auf, Spatz.»
    Jane sah auf. Ihr Gesichtsausdruck war mitleiderregend.
    «Gerade wollte ich sagen: ‹Nenn mich nicht Spatz, als wäre ich sieben Jahre alt.› Aber ja, nenn mich Spatz. Du kannst mich so lange Spatz nennen, bis ich endlich erwachsen geworden bin. Womöglich fliege ich von der
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