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Ein besonderer Junge

Ein besonderer Junge

Titel: Ein besonderer Junge
Autoren: dtv
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nicht, dass ich Ja sagen werde. Sie weiß noch nicht, dass ich endlich einwillige. Heute Abend, wenn ich Iannis geholfen habe, sein Bad zu nehmen, in seinen Pyjama zu schlüpfen, wenn er schläft, wenn wir unsere Gläser geleert und unsere letzte Zigarette ausgedrückt haben. Dann werde ich Ja zu Helena sagen.
    Wie üblich rudert Iannis mit den Armen. Dünn und weiß machen sie, was sie wollen, schnellen weg von seinen Schultern, bereit zum Abflug, Flügel aufgeschreckter Möwen, Fahnen im Wind.
    Die wenigen Spaziergänger, die auf dem Deich entlang wandern, drehen sich nach ihm um, überrascht von seinen wirbelnden Gliedmaßen, von seinem Gang vor allem. Fasziniert von diesem ständigen Ungleichgewicht, als würde er jeden Augenblick stürzen, überlegen sie, ob sie hinzueilen und ihn halten sollen, doch Helena und ich beruhigen sie mit einer Geste. Machen Sie sich keine Sorgen, wir wissen, dass Iannis nie stürzt. Er nimmt die Treppen im Flug, fast ohne die Stufen des Treppenlaufs zu berühren, ohne zustraucheln, galoppiert er über den Algenteppich, der seine Knöchel fesseln will.
    Wir haben den Vormittag vor einem einförmig grauen Meer am Strand verbracht, und ich habe meinen täglichen Auftrag gegenüber Iannis erfüllt. Jetzt, da ich gelernt habe, ihn zu verstehen, mag ich ihn, und zugleich erschreckt er mich. Er und seine Mutter gehen zu weit, doch beide haben über meine Widerstände gesiegt: Weder Helena noch Iannis gegenüber werde ich mich noch länger verweigern.

 
    Nach dem Mittagessen lässt Iannis mir keine Zeit zum Überlegen: Er hat entschieden, welches Ziel unser Spaziergang haben soll, und ich begleite ihn ohne Bedenken.
    Als er zwischen den Flügeln des Gartentors vom Hôtel des Flots hindurchschlüpft, zögere ich nicht, ihm zu folgen. Ich habe hier einen Teil meiner Erinnerungen zurückgelassen, und ihr Winterschlaf hat bis jetzt gedauert. Das hohe Gras streicht um meine Beine, die Brombeerranken verhaken sich in meiner Hose, doch Iannis scheinen sie nicht zu berühren. Er geht weiter bis in den hinteren Teil des Gartens, bis er vor der Metalltür steht, die ein dicker Mantel von Zaunwinden bedeckt. Ich wusste, dass sein Instinkt uns hierher führen würde. Er streichelt die Blüten, summt seinen seltsamen Singsang, dann geht er, wie immer bedenklich schwankend, zurück zu der runden Betonplatte, die man unter dem Gestrüpp ahnt und über der sich ein rostzerfressenes Schaukelgerüst erhebt. Er setzt sich unter die aufgeplatzten Metallrohre, aus denen ganze Ameisenkolonien hervorkommen. Zwischen seinen Fingern lässt er ein wenig Sand vomehemaligen Spielplatz rieseln, und als ich ihn so betrachte, wird mir klar, dass ich die Tore, gegen die ich mich bisher gestemmt hatte, jetzt weit öffnen werde. Sofort verschwindet das Gestrüpp, das Schaukelgerät bekommt seine einstige Farbe wieder, sein Trapez, seine Schaukel und seine Ringe. Der Betonkreis füllt sich wieder mit Sand, und jetzt ist es nicht mehr Iannis, der im Schneidersitz dort sitzt und spielt wie ein Kind: Es ist Antoine, der zu unserer Verabredung gekommen ist.

 
    Mein Freund zog den Schlüssel zu unserem Revier aus der Tasche. Die Ferien gingen zu Ende, meine Eltern und ich wollten noch am Abend nach Paris zurückfahren, wir mussten Abschied nehmen vom Saut-du-Loup-Park: Antoine hatte mir versprochen, nur in meiner Begleitung dorthin zurückzukehren   – im nächsten Sommer.
     
    Wir ließen unsere Hände über die von der Sonne angewärmten Steine wandern, bogen die Büsche zur Seite, die die Alleen überwucherten. Wir stützten uns auf die steinerne Balustrade, um uns über die halb mit feuchter Erde gefüllten Brunnenschalen zu beugen. In der Grotte dachten wir an das Jahr, das wir getrennt sein würden, und das dunkle Gewölbe verstärkte das Geräusch unseres ineinander verflochtenen Atems. Der Gedanke, Antoine verlassen zu müssen, schien mir auf einmal unerträglich. Überwältigt von einem Gefühl, das ich nie zuvor empfunden hatte, streckte ich die Hand nach ihm aus, legte sie auf seine Brust. Das Herz meines Freundes schlug unter meinen Fingern, und seine Hand suchte meine Hand und
legte sich auf sie. Wir standen da wie versteinert, aber Antoine reagierte zuerst: Abrupt löste er sich von mir und ließ mich zurück, um ein letztes Mal auf die Kuppe der Anhöhe zu klettern.
    Mit pochenden Schläfen blieb ich allein in der Dunkelheit der Grotte zurück. Ein Aufschrei rief mich aus meinem Unterschlupf: Antoine hatte
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