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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben
Autoren: P Enquist
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kein Moos, kein uralter Baumstumpf. Er ist gezwungen, das Ohr ans Dorf zu legen und den Atem anzuhalten, dann kann er entfernte Lockrufe hören.
    Jemand flüstert, dass er es dazu bringen müsse, zusammenzuhängen, sonst würde man ja verrückt.

Mit der Zeit erfährt er, dass er einen Bruder hatte, der vor ihm geboren wurde, anderthalb Jahre nach der Hochzeit.
    Sie hatte zu Hause gebären wollen. Das Kind lag falsch herum, aber die Hebamme, auf Stippvisite, kritisierte ihr übertriebenes Gejammer und erklärte, das Blag würd sich schon von selbs umdrehn. Trotz der Wehen kam das Kind jedoch nicht heraus. Die Mutter hatte vier Tage und Nächte gestöhnt, bis es ganz unmöglich war, sie zu halten, se hatt so furchbar geschriee! Es war eine Steißgeburt. Da hatte man aus Gamla Fahlmark ein Taxi bestellt. Sie hatte im Obergeschoss des grünen Hauses gelegen, und die Hebamme war nicht mehr gekommen, weil es ihr zuviel wurde . So war die Mutter vom Vater und einem Nachbarn hinuntergetragen worden, es war Sehlstedt. Die Treppe hinunter musste man zu zweit tragen. Åke Sehlstedt hatte es ihm erzählt, verstohlen, mit einem einzigen Detail. » Ich hab unten am Fußend getraang .«
    Unbegreiflich, dass gerade dieses Detail sich eingraben sollte. Er wird es nicht los.
    Er grübelt darüber nach, ob es ein Bild war oder ein Zeichen.
    Aber es war eine Steißgeburt. Auf der Krankenstation kam das Kind schließlich und hatte auch noch die Nabelschnur um den Hals. Es hatte, meinte man, einige Minuten gelebt. Hierüber im Tagebuch eine Aufzeichnung. Damit galt es als lebendig und nicht als totgeboren . Der schnell Dahingeschiedene wurde auf den Namen Per-Ola getauft, und die Leiche im kleinen Sarg wurde fotografiert. Ein Leichenbild musste sein, daran führte kein Weg vorbei. Das Tote sah nettig aus, und auch er schien lieb zu sein.
    Zwei Jahre später war er selbst geboren und auf denselben Namen getauft worden. Seine Mutter hatte erklärt, es sei das frühere Kind, mit dem Namen Per-Ola, das gestorben war, während er, der spätere Junge, also er selbst, mit demselben Namen, es war, der lebte. Er kann nur schwer begreifen, wer wer ist. Es kommt ihm unklar vor, ein wenig verdächtig. Konnte es also so sein, dass in Wirklichkeit er das Totkind im Sarg war, das fotografiert worden war, während der Bruder lebte?
    Vielleicht hatte es eine Verwechslung gegeben?
    Er wagt nicht zu fragen, doch er ist unruhig. Oder war es die ganze Zeit dasselbe Kind? Also, dass er selbst gestorben war und die Mutter fast das Leben gekostet hätte , um dann wieder aufzuerstehen. Oder, und dies war das Schwerste: War es so, dass er in seinem ersten Leben heimgeholt worden war unter die Gerechten, und jetzt zur Rechten Gottes saß, während er später das Kind war, das als Per-Ola bezeichnet wurde, mit demselben Namen!!! – dass dieser, der etwas später Geborene, unter den zurückgelassenen ungerechten Sündern war, die am Tag des Jüngsten Gerichts in Gehenna brennen sollten?
    Noch unklarer wird es, als in der Familie wirklich eine Kindsverwechslung geschieht.
    Es war Tante Vilma, die in der Krankenstation von Bureå lag und ein Kind bekommen hatte. Und da kommt die Schwester herein, auf jedem Arm ein Kind, beide einen Tag alt; und die Schwester hatte mit energischer Stimme zu Tante Vilma und Frau Svensson gesagt Erkennt ihr eure Kinner nich selbs!?
    Aber se hatten’s nich getan, und da war der Fehler passiert.
    Das waren die vertauschten Enquistschen Kinder. Und einige Jahre später wurde unten im Süden Richtung Stockholm eine große Sache in der Presse daraus, die bis vors Oberste Gericht ging. So fing es an. Zuerst die Unsicherheit, ob er selbst oder der Bruder gestorben war. Dann die Geschichte mit den vertauschten Kindern. Dies als Bekräftigung dessen, wie unsicher alles im Grunde war. Sieh dir nur Tante Vilma an und die Kleinen, die verkehrt landeten!!!
    Man wusste nie sicher, wer wer war. Oder wer man selbst war.
    Es war gleichsam gruselig. Irgendwann wurde ein Gerücht verbreitet. Es war viel später, aber noch lange bevor er Kapitän Nemos Bibliothek schrieb, über Eeva-Lisa und die Kinder, die verwechselt wurden, dass er in dieser Klarstellung in Romanform die Missverständnisse zurechtrückte, und all das, worüber man sich in den Häusern ereiferte. Er wollte durch die Darstellung der objektiven Wahrheit über die Verwechslung Klarheit schaffen, damit nicht mehr gedichtet würde.
    Das Gerücht besagte nicht weniger, als dass er selbst in
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