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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen
Autoren: Jan Seghers
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Eindruck. Nach Durchsicht aller Unterlagen
     entschied er, den Haftbefehl auszusetzen und die junge Frau in einer psychiatrischen Einrichtung unterzubringen. Er veranlasste
     alles Nötige und rief dann einen befreundeten Psychiater an, mit dem er seit vielen Jahren zusammenarbeitete. Dr.   Karl Harpbrecht war dreiundsiebzig Jahre alt. Seine Praxis hatte er zwar bereits vor einiger Zeit aufgegeben, gelegentlich
     fertigte er aber noch das ein oder andere Gerichtsgutachten an. Karl Harpbrecht war querschnittgelähmt und wohnte in einer
     alten Villa in Kronberg. Der Richter bat ihn, sich Marie-Louise Geissler einmal anzusehen. Dr.   Harpbrecht war einverstanden, bestand aber darauf, dass man die junge Frau gleich am nächsten Morgen um acht Uhr zu ihm bringen
     solle, da er noch am selben Tag eine längere Reise antreten wolle.
     
    Am Morgen des nächsten Tages, des 17.   August, verbreiteten die Agenturen um 8.22   Uhr folgende Nachricht:
     
    |461|
Im Fall der drei in Frankfurt am Main getöteten Männer überschlagen sich die Ereignisse. Nachdem gestern ein Winzersohn aus
     dem Elsass die Polizei mit einem umfassenden Geständnis überraschte, kam es vor einer Stunde zu einer neuerlichen Sensation.
     Die bislang beschuldigte Marie-Louise Geissler, die gestern auf Anordnung des Haftrichters in einer psychiatrischen Anstalt
     untergebracht wurde, ist wieder auf freiem Fuß. Sie sollte am frühen Morgen einem im Taunus ansässigen Psychiater zur Begutachtung
     vorgeführt werden, ist dort aber nie angekommen. Nach bislang unbestätigten Berichten bat einer der beiden Pfleger, die sie
     in einem Dienstwagen der Anstalt begleiteten, um einen Zwischenstopp. Er wollte, so heißt es, in einem Baumarkt eine kurze
     Besorgung machen. Die junge Frau nutzte den günstigen Moment und täuschte dem anderen Pfleger einen Schwächeanfall vor. Als
     dieser das Auto verließ, um ihr zu helfen, gelang Marie-Louise Geissler die Flucht. Die sofort eingeleitete Suche blieb bislang
     ohne Erfolg.
     
    Robert Marthaler lag in seinem Klinikbett und trank eine Tasse dünnen Kaffee, als er die Meldung in den Zehn-Uhr-Nachrichten
     hörte. Unverzüglich rief er die Auskunft an und bat um die Telefonnummer des Landeskriminalamtes in Saarbrücken. Fünf Minuten
     später hatte er KD Kamphaus am Apparat.
    «Robert. Wo warst du? Ich habe gestern Abend immer wieder versucht, dich anzurufen. Es hat sich niemand gemeldet, nicht einmal
     die nette Frau von neulich.»
    Marthaler ging nicht auf die Anspielung ein.
    «Mir ist der Mond auf den Kopf gefallen», sagte er stattdessen.
    «Dir ist
was

    «Schon gut. Hast du etwas herausbekommen? Warst du in Hotzwiller?»
    |462| «Allerdings. Du hattest Recht. Das Mädchen hat dort gelebt. Die Dorfbewohner kannten sie unter dem Namen Manon. Sie hat bei
     einer älteren Frau gewohnt, die kürzlich gestorben ist. Danach ist Marie-Louise spurlos verschwunden.»
    Manon, dachte Marthaler, der Name passt viel besser zu ihr.
    «Gut», sagte er. «Bist du heute Abend zu Hause?»
    «Ja. Warum?»
    «Vielleicht muss ich dich nochmal anrufen.» Bevor der Hörer wieder auf der Gabel lag, hatte Marthaler bereits einen Entschluss
     gefasst.
     
    Kurz darauf klopfte es zaghaft an der Zimmertür. Es war Sven Liebmann. Er blieb in der Mitte des Raumes stehen und schaute
     unter sich.
    «Robert   … ich muss mich entschuldigen wegen gestern. Mir ist einfach der Kragen geplatzt   …»
    Marthaler winkte ab.
    «Außerdem sieht es ja nun wirklich so aus, als hättest du Recht gehabt», sagte Liebmann.
    «Was meinst du damit?»
    «Hast du denn noch nicht gehört?»
    «Dass Marie-Louise Geissler geflohen ist? Doch, das habe ich gerade im Radio gehört. Was habt ihr vor? Schon wieder eine Großfahndung?
     Das werdet ihr nicht durchkriegen. Der Richter scheint sie nach dem Geständnis von Girod für unschuldig zu halten.»
    «Jean-Luc Girod hat sein Geständnis widerrufen.»
    Marthaler stutzte. Dann bekam er einen Lachanfall. Er verzog das Gesicht vor Schmerzen, fasste mit der Linken an seine verletzte
     Schulter, konnte aber nicht aufhören zu lachen.
    «Das ist nicht dein Ernst!», sagte er schließlich.
    «Doch. Als er vorhin hörte, dass das Mädchen geflohen ist, |463| hat er sofort um ein Gespräch gebeten. Insgesamt ist er bei seiner Darstellung geblieben. Allerdings will er jetzt nicht mehr
     der Täter, sondern nur Augenzeuge gewesen sein.»
    «Und damit sagt er die Wahrheit», stellte Marthaler fest.
    «Meinst
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