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Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club
Autoren: Christian Gailly
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er die erste Tür und wandte sich um. Simon war nicht mehr da. Er suchte ihn. Und entdeckte ihn weit hinten. Er stieg gerade auf die Bühne. Was treibt er da?, fragte sich der Ingenieur. Simon setzte sich ans Klavier. Ist er besoffen oder was? Weiß er nicht, wie spät es ist?
    Er ging also zurück, der Ingenieur, schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch und trat schüchtern an die Bühne, nicht dass man ihn für einen Bassisten oder Schlagzeuger hielt. Er hielt das Handgelenk hoch und klopfte mit dem Fingernagel aufs Uhrglas: Sie verpassen noch den Zug, sagte er.
    Der zitternde Simon schaute auf ihn hinunter und antwortete: Ich nehm den nächsten. Es gibt keinen nächsten, sagte der Ingenieur. O doch, Monsieur, sagte Simon, es gibt immer einen nächsten, da haben Sie den Beweis. Welchen Beweis?, fragte der Ingenieur. Gehen Sie nach Hause, sagte Simon, und danke für alles. Er streckte die Hände aus. Ließ sie über den Tasten schweben.
    Der Ingenieur konnte sich nicht zum Gehen entschließen. Die Sache war ihm sehr unangenehm, was ja verständlich ist. Sie überstieg ihn ein wenig, muss man sagen. Er blieb dort stehen, vor der Bühne, vor den Augen des Publikums. Mit einem Mal wurde ihm die Gegenwart dieser Leute bewusst. Außerordentlich bewusst. Er wandte sich um und sah sie alle an. Einige fragten sich natürlich, was da vor sich ging. Kurz: Sie fielen auf, er und Simon. Es war ihm peinlich.
    Kommen Sie?, fragte er. Simons Hände schwebten immer noch über den Tasten. Die Hände zitterten. Der Ingenieur bekam Angst. Kommen Sie, drängte er fast flehentlich. Gehen Sie nach Hause, sagte Simon. Aber, sagte der Ingenieur. Verschwinden Sie, sagte Simon, Sie stören.
    Der Ingenieur gab sich geschlagen. Man sah ihn kehrtmachen und wieder auf den Ausgang zugehen. Mit einem Gefühl von verdorbenem Abend. Am Fuß der Treppe wandte er sich ein letztes Mal um. Simon hatte sich nicht gerührt, seine Hände schwebten über den Tasten. Der Ingenieur zuckte die Achseln, als wollte er sagen, mir soll’s egal sein, und stieg die ersten Stufen hinauf.
    Als er fast oben war, hörte er hinter sich das Klavier. Helle Töne zogen ihn an seiner Jacke zurück. Er stieg die Treppe wieder hinunter, um sich zu vergewissern. Es war tatsächlich Simon, der spielte, der anfing, der tastend anzufangen versuchte.
    Für den Ingenieur bedeutete es: Sein Wunsch, Dank zu bezeugen, war gescheitert. Simon bot sich selbst das, was ihm der Ingenieur nicht hatte bieten können. Und doch hätte er es ohne mich nicht tun können, dachte er, bevor er die Treppe wieder hinaufstieg.
    Als er in die Bar trat, dachte er gerade, er würde vielleicht: Ja, dachte er, ich schicke seiner Frau einen Blumenstrauß. Nein, nicht aus dem Garten, dann schlägt Cecile Krach, ich werde es über Fleurop regeln.
    Johnny Griffin, die Plattenhülle war deutlich sichtbar aufgestellt, swingte ganz allein mit der Rhythmusgruppe von Monk, der mal eben einen trinken gegangen war. Der Ingenieur hörte gar nicht hin. Für diesen Abend hatte er genug vom Jazz. Im Vorbeigehen machte er eine Handbewegung in Richtung Tresen. Auf Wiedersehen, sagte er zu der müden Schönen. Es war nicht mehr so voll. Sie keuchte ein wenig. Eine Zigarette im Mundwinkel, rieb sie ein Glas blank. Der Rauch stieg ihr in die Augen. Dann die Straße.
    Der Wagen ließ sich nicht leicht ausparken. Ein kleiner hatte sich hinter ihn zwängen können. Ein Hoch auf die Servolenkung. Die Uhr im Armaturenbrett zeigte 22.50. Simons Zug fuhr in acht Minuten. Der Ingenieur fuhr heim.

5.
    Was liest du da?, fragte er, als er ins Schlafzimmer kam. Sie lag lesend im Bett. Sie zeigte ihm das Buch. Aha, sagte er, und, ist es gut? Nicht schlecht, sagte sie. Er trat näher und küsste sie. Du riechst nach Alkohol. Klar, ich hab ja auch welchen getrunken, antwortete er. Er zog seine Jacke aus.
    Du kommst spät, sagte seine Frau. Er löste den Krawattenknoten. Schläft Iris?, fragte er. Ja, sie schläft, sagte seine Frau, und bei dir? Was ist mit mir?, fragte der Ingenieur und stieg aus der Hose.
    War’s gut, dein Abendessen mit Monsieur Nardis? Sehr gut, sagte er, inzwischen in Unterhosen und mit nacktem Oberkörper. Danach dachte ich, es wäre ein guter Gedanke, ihn noch auf ein Glas ins Dauphin mitzunehmen. Er ging ins Badezimmer.
    Und kam im Bademantel zurück. Ich hatte ihn so verstanden, dass er Jazzliebhaber ist. Hast du deinen Schlafanzug nicht an?, wunderte sich seine Frau. Ah nein, sagte er, siehst du doch.
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