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Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club
Autoren: Christian Gailly
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unter Plänen verschwunden. Der Ingenieur lüpfte den überlappenden Rand eines riesigen blauen elektrischen Schaltplans. Hier ist das Telefon, sagte er und zog sich taktvoll zurück.
    Er nutzte die Gelegenheit und ging zum Waschraum. Das hatte er sich schon seit zwei Stunden verkniffen. Er hatte sich nicht vom Ort des Geschehens entfernen wollen. Auch nicht für einen einzigen Augenblick den Anschein erwecken wollen, er sei an dem Problem nicht interessiert. Idiotisch. Vor einem Urinal oder einem Spiegel kann man wunderbar weiter nachdenken, vielleicht sogar besser, wird behauptet, na ja, lassen wir das.
    Suzanne war zu dieser Zeit noch an ihrem Arbeitsplatz. Suzanne hatte eine Führungsposition. Ich werde sie einfach Suzanne nennen. Das ist einfacher. Sie war meine Freundin. Die Frau meines Freundes Simon wurde auch meine Freundin. Das ist nicht immer der Fall, aber hier war es der Fall. Manchmal betrachtet die Frau Ihres Freundes Sie als Feind. Aber so war es nicht. Der Feind war der Jazz. Der hätte ihren Mann fast umgebracht.
    Suzanne leitete in der Zweigniederlassung eines Automobilherstellers die Verwaltungs- und Buchhaltungsabteilung. Das Telefon in ihrem Büro klingelte. Sie war nicht da. Sie war beim Chef. Sie brauchte eine Unterschrift. Sie hatte die Tür ihres Büros offen gelassen. Einer ihrer Kollegen hörte das Klingeln bis in sein eigenes Büro. Er ging hin und nahm ab.
    Madame Nardis ist nicht an ihrem Platz, sagte er. Auf die Frage, ob für länger, antwortete er, ich weiß nicht, aber dann fiel ihm plötzlich ein, Suzanne hatte ihm im Vorbeigehen ein Ich-bin-beim-Chef hingeworfen, er jedoch, ganz in seine eigene Arbeit versunken, hatte nicht einmal aufgeblickt, sondern nur genickt, als wolle er sagen, jaja, schon gut.
    Sie ist beim Chef, sagte er. Sagen Sie ihr bitte, sie möchte mich zurückrufen, sagte Simon, ich gebe Ihnen die Nummer, einen Moment bitte. Er wandte sich fragend um. Der Ingenieur war noch nicht von der Toilette zurück. Simon rief nach ihm. Lauter als beabsichtigt. Wahrscheinlich wegen der Anspannung. Der Ingenieur kam angerannt, freudig, er glaubte, Simon habe die Lösung gefunden. Was haben Sie hier für eine Nummer?, fragte Simon.
    Suzanne trat aus dem Büro ihres Chefs. Sie wandte sich noch einmal halb um. Drückte die Unterschriftenmappe an sich. Übrigens, sagte sie, heute Abend können Sie nicht mit mir rechnen, ich hole meinen Mann vom Bahnhof ab.
    Sie kehrte in ihr Büro zurück. Der Kollege rief ihr etwas zu. Er stand auf und kam zu ihr. Er hielt einen Zettel in der Hand. Sie möchten Ihren Mann unter dieser Nummer zurückrufen, sagte er. Aha, dachte Suzanne. Sie schloss die Tür hinter sich und rief Simon an.
    Sag bloß nicht, dass du länger bleiben musst, sagte sie, bitte, sag bloß das nicht. Doch, leider, sagte Simon, genau das sage ich, aber es dauert nicht mehr lange, ich nehme den Abendzug, hol mich nicht ab, es wird bestimmt sehr spät.
    Um wie viel Uhr?, fragte Suzanne. Ich weiß nicht, sagte Simon, das kann mir hier kein Schwein sagen. Simon sah ihn an. Der Ingenieur fühlte sich sofort angesprochen. Simon legte die Hand über die Sprechmuschel. Der Ingenieur verstand. Und antwortete mit einer Handbewegung.
    Man wird es für mich herausfinden, sagte Simon, wenn du einen Augenblick Zeit hast, bleib dran, oder ich ruf dich noch mal an, wie du möchtest, na ja, und ansonsten, bei dir alles in Ordnung? Ich versinke in Arbeit, sagte Suzanne. Du Arme, sagte Simon. Allerdings, sagte Suzanne. Moment, da kommt die Auskunft, sagte Simon.
    22.58 Uhr, verkündete der Ingenieur.
    Ich nehme ein Taxi, sagte Simon, warte nicht auf mich, leg dich lieber schlafen. Na gut, sagte Suzanne, aber verpass den bitte nicht auch noch, denk dran, wir wollen morgen wegfahren.
    Eine gewisse Verstimmung beschlich Suzanne, sie verscheuchte sie und vertiefte sich wieder in ihre Arbeit. Ich kann heute Abend doch noch ein wenig länger bleiben, sagte sie zu ihrem Chef. Er ließ sich von ihr ein Dossier erläutern, nachdem er ohne anzuklopfen in ihr Büro gekommen war. Über vieles war sie weit besser informiert als er. Ehrlich gesagt, ohne sie war er verloren.
    Das war auch Simon, ohne sie verloren. Zumindest wäre er es in der Vergangenheit gewesen. Verloren im Sinne von tot. Ohne sie wäre er tot gewesen.
    Mitten in der Nacht, es war schon lange her, bei einer Auslandstournee, hatte er sie aus einem Hotelzimmer angerufen. Simons Stimme klang nach Tod. Suzanne hörte die Gefahr. Sie holte ihn
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